Dokument: Aktive Materie und komplexe Umgebungen

Titel:Aktive Materie und komplexe Umgebungen
Weiterer Titel:Active matter and complex environments
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URN (NBN):urn:nbn:de:hbz:061-20240201-144406-7
Kollektion:Dissertationen
Sprache:Englisch
Dokumententyp:Wissenschaftliche Abschlussarbeiten » Dissertation
Medientyp:Text
Autor: Breoni, Davide [Autor]
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Dateien vom 29.01.2024 / geändert 29.01.2024
Beitragende:Prof. Dr. Löwen, Hartmut [Gutachter]
Juniorprof. Dr. Buttinoni, Ivo [Gutachter]
Stichwörter:Active matter disorder
Dewey Dezimal-Klassifikation:500 Naturwissenschaften und Mathematik » 530 Physik
Beschreibungen:Eines der mysteriösesten Rätsel der Wissenschaft ist die spontane Entstehung extrem komplexer Strukturen aus dem einfachen und chaotischen System, das die Erde vor etwa vier Milliarden Jahren war: das Leben. Auf den ersten Blick würde der zweite Hauptsatz der Thermodynamik, der eine kontinuierliche Zunahme der Entropie fordert, eigentlich nur zulassen, dass die Komplexität mit der Zeit verschwindet. Dabei wird jedoch außer Acht gelassen, dass die Erde kein geschlossenes System ist, da sie ständig Licht aufnimmt und abgibt. Da Lebewesen, die unaufhörlich Energie benötigen, um am Leben zu bleiben und sich schließlich fortzupflanzen, viel effizienter als tote Materie sind, wenn es darum geht, diesen Energiefluss zu zerstreuen und Entropie zu erzeugen, können sie ihre Komplexität rechtfertigen. Der ständige Energiebedarf macht es für Lebewesen notwendig, zu lernen, sich in jeder Art von komplexer Umgebung zurechtzufinden. Die meisten Umgebungen weisen nämlich sehr ungeordnete Landschaften mit Hindernissen, Nahrungsquellen, freundlichen und unfreundlichen Arten auf. Die klügsten Lebewesen schaffen es sogar, die Umwelt selbst zu ihrem Vorteil zu nutzen und zu verändern, wie z. B. Einsiedlerkrebse, wenn sie Muscheln, die sie erbeuten, als Schutz verwenden, oder Menschen, wenn sie versuchen, ihr Wohlergehen zu verbessern, was die Komplexität und die Erzeugung von Entropie auf ein noch höheres Niveau bringt.
Diese Arbeit ist inspiriert von der innewohnenden Verbindung zwischen Leben und Unordnung und untersucht das Verhalten aktiver Materie in ungeordneten und komplexen Landschaften. Aktive Materie, also das Gebiet, das sich mit dem beschäftigt, was sich bewegt oder Arbeit verrichtet, indem es eine externe Energiequelle verbraucht, eignet sich gut für die Untersuchung lebender Systeme. So lassen sich beispielsweise künstliche aktive Systeme aus selbstbewegten Teilchen, die relativ leicht einzustellen und zu messen sind, als Spielzeugmodelle verwenden, die uns wichtige Einblicke in die viel komplexere lebende aktive Materie geben können. Insbesondere kolloidale aktive Teilchen wie die Janus-Teilchen gehören zu den einfachsten Beispielen aktiver Materie und können durch etablierte Modelle wie das Active Brownian Particle (ABP) effektiv modelliert werden. In meiner ersten Veröffentlichung, Active Brownian and inertial particles in disordered environments: Short-time expansion of the mean-square displacement" (Kurzzeiterweiterung der mittleren quadratischen Verschiebung) untersuche ich, wie sich ABPs in ungeordneten Potential- und Bewegungsfeldern (d. h. mit aktiver Geschwindigkeit) bewegen, und untersuche insbesondere, wie Unordnung ihr Kurzzeitverhalten beeinflusst. In der Publikation Patchy landscapes promote stability of small groups (Patchige Landschaften fördern die Stabilität kleiner Gruppen) verwende ich ABPs, um die Bewegung und das kollektive Verhalten echter aktiver Janus-Teilchen zu modellieren und zu analysieren, die in ein lichtinduziertes Bewegungsfeld eingetaucht sind, und stelle fest, welche Unterschiede auftreten, wenn das Bewegungsfeld mehr oder weniger ungeordnet ist.
Die Komplexität einer Umgebung kann auch vom thermischen Bad herrühren: Seine Eigenschaften können in der Tat von lokalen Variablen abhängen, beispielsweise in Form eines Temperaturgradienten, eines Mediums, dessen Reibungskoeffizient raumabhängig oder anisotrop ist, oder von Brownschen Ratschen und Wärmemotoren, die einem System mit einem asymmetrischen Potenzial Arbeit entziehen, indem sie den Diffusionskoeffizienten über die Zeit modulieren. Zwei meiner Veröffentlichungen befassen sich mit dieser Art von Umgebung und untersuchen, wie eine Reibungslandschaft ein passives Brownsches Teilchen aktivieren kann (Aktive rauschgetriebene Teilchen unter raumabhängiger Reibung in einer Dimension) und wie die Langzeitdiffusion und die Driftgeschwindigkeit eines passiven Teilchens in einem gekippten periodischen Potential durch Modulation der Temperatur als Funktion des Raums verbessert werden kann (Brownsche Teilchen, die durch räumlich periodisches Rauschen angetrieben werden).
Schließlich stellt die Interaktion mit anderen eine Quelle der Komplexität dar, die in der Natur allgegenwärtig und für die faszinierenden kollektiven Phänomene der aktiven Materie von grundlegender Bedeutung ist: Wir nennen hier zum Beispiel Fischschwärme, Schafherden, Vogelschwärme, die zelluläre Organisation in Bakterienkolonien und mehrzelligen Organismen oder die Clusterbildung in kolloidalen aktiven Partikeln. Zu diesem Thema habe ich A one-dimensional three-state run-and-tumble model with a 'cell cycle' (Ein eindimensionales dreistufiges Run-and-Tumble-Modell mit einem 'Zellzyklus') veröffentlicht, in dem untersucht wird, wie unterschiedliche und interagierende Bakterienpopulationen interessante Strukturen bilden können, und Giant Activity-Induced Stress Plateau in Entangled Polymer Solutions (Riesiges aktivitätsinduziertes Spannungsplateau in verschränkten Polymerlösungen), das sich stattdessen auf große Systeme verschränkter Polymere und die Auswirkungen der Aktivität auf ihre Rheologie konzentriert.

One of the most puzzling mysteries in science is the spontaneous formation of extremely complex structures out of the simple and chaotic system that was Earth around four billion years ago: life. At a first sight, in fact, the second principle of thermodynamics, demanding a continuous increase in the entropy, would only allow for complexity to fade away over time. What this does not consider though, is that Earth is not a closed system, as it constantly absorbs and dissipates light. Since living beings, unceasingly requiring energy to remain alive and eventually procreate, are much more efficient than dead matter at dissipating this flow of energy and producing entropy, they can justify their complexity. The constant hunger for energy makes it necessary for living creatures to learn to navigate any kind of complex environment. Most surroundings, in fact, feature very disordered landscapes of obstacles, sources of food, friendly species and unfriendly ones. The smartest beings even manage to use and modify the environment itself to their advantage, as do for example hermit crabs when they use shells they scavenge as protection or humans whenever they try to improve their well-being, bringing complexity and the production of entropy to even higher degrees.
This thesis draws inspiration from the intrinsic connection between life and disorder, and investigates the behavior of active matter in disordered and complex landscapes. Active matter, the field that studies what moves or does work by consuming an external source of energy, is well suited for the study of living systems. It allows, for example, to use artificial active systems of self-propelled particles, relatively easy to tune and measure, as toy-models that can give us important insight on the much more complex living active matter. In particular, colloidal active particles such as the Janus particles provide some of the simplest examples of active matter, and can be effectively modeled by well-established frameworks such as the Active Brownian Particle (ABP). Indeed, in my first publication, Active Brownian and inertial particles in disordered environments: Short-time expansion of the mean-square displacement, I study how ABPs move in disordered fields of both potential and motility (i.e. active speed), especially inquiring how disorder affects their short-time behavior. As a follow up, in publication Patchy landscapes promote stability of small groups I use ABPs to model and analyze the motion and collective behavior of real Janus active particles immersed in a light-induced motility field, finding the differences that occur as the motility field becomes more or less disordered.
The complexity of an environment can also come from the thermal bath: its properties can in fact depend on local variables, in the form, for example, of a temperature gradient, a medium which friction coefficient is space-dependent or anisotropic or Brownian ratchets and heat engines, which extract work from a system with an asymmetric potential by modulating the diffusion coefficient over time. Two publications of mine deal with this kind of environment, studying respectively how a friction landscape can activate a passive Brownian particle (Active noise-driven particles under space-dependent friction in one dimension) and how the long-time diffusion and drifting speed of a passive particle in a tilted periodic potential can be enhanced by modulating the temperature as a function of space (Brownian particles driven by spatially periodic noise).
Finally, interacting with others provides a source of complexity which is ubiquitous in nature and fundamental to the fascinating collective phenomena shown by active matter: we list for example schools of fishes, herds of sheep, bird flocks, cellular organization in bacteria colonies and multicellular organisms or cluster formation in colloidal active particles. On this topic I have published A one-dimensional three-state run-and-tumble model with a ‘cell cycle’, which studies how different and interacting populations of bacteria can form interesting structures, and Giant Activity-Induced Stress Plateau in Entangled Polymer Solutions, which instead focuses on large systems of entangled polymers and how activity affects their rheology.
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Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz
Fachbereich / Einrichtung:Mathematisch- Naturwissenschaftliche Fakultät » WE Physik » Theoretische Physik
Dokument erstellt am:01.02.2024
Dateien geändert am:01.02.2024
Promotionsantrag am:20.11.2023
Datum der Promotion:26.01.2024
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