Dokument: Zur Rolle des Transkriptionsfaktors WT1 bei der Pathogenese humaner Erkrankungen und während der normalen Nieren- und Gonadenentwicklung

Titel:Zur Rolle des Transkriptionsfaktors WT1 bei der Pathogenese humaner Erkrankungen und während der normalen Nieren- und Gonadenentwicklung
Weiterer Titel:The role of the transcription factor WT1 in human disease and during normal kidney and gonad development
URL für Lesezeichen:https://docserv.uni-duesseldorf.de/servlets/DocumentServlet?id=13331
URN (NBN):urn:nbn:de:hbz:061-20091124-103519-3
Kollektion:Dissertationen
Sprache:Deutsch
Dokumententyp:Wissenschaftliche Abschlussarbeiten » Habilitation
Medientyp:Text
Autor:PD Dr. Schumacher, Valérie [Autor]
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Dateien vom 05.11.2009 / geändert 05.11.2009
Stichwörter:WT1, Wilms Tumor, Denys-Drash Syndrom, Frasier Syndrom
Dewey Dezimal-Klassifikation:600 Technik, Medizin, angewandte Wissenschaften » 610 Medizin und Gesundheit
Beschreibung:Während der Entwicklung von Organen vollzieht sich ein Wandel von “simplen” multipotenten Einzelzellen zu komplexen Zellverbänden, in denen die Zellen ihre Morphologie und Funktion an die entsprechenden Notwendigkeiten anpassen müssen. Auf molekularer Ebene liegt dem ein kaum vorstellbarer, höchst komplexer Prozess zugrunde, nämlich ein streng koordiniertes An- und Abschalten spezifischer Gene. Der Ausfall eines bestimmten Genproduktes bei einer genetischen Erkrankung sowie dessen Konsequenz auf molekularer Ebene und der dadurch verursachte Phänotyp können dabei helfen, Rückschlüsse auf die normale Funktion des Genproduktes zu ziehen. Dieses Wissen verhilft umgekehrt auch wieder, der Erkrankung zugrunde liegende molekulare Pathomechanismen zu entschlüsseln und mögliche neue Therapiekonzepte zu erarbeiten.

Mutationen im Wilms-Tumor 1 (WT1)-Gen manifestieren sich aufgrund der Expressionsspezifität von WT1 vor allem in Nieren und Gonaden. Dass das WT1-Protein mit seiner dualen Bindungseigenschaft an DNA und RNA für eine geregelte Nieren- und Gonadenentwicklung unentbehrlich ist, wird an Wt1-knockout-Mäusen durch das völlige Fehlen von Nieren und Gonaden am deutlichsten. Trotz dieser Beobachtung ist auf molekularer Ebene bisher noch wenig über seine Funktion bekannt. Aus diesem Grund wurde in der vorgelegten Habilitationsarbeit an humanem Nieren- und Hodenmaterial die Rolle von mutiertem WT1 bei der Pathogenese dreier humaner Erkrankungen untersucht und durch in vitro-Studien ergänzt. Dadurch sollten neue Einblicke in die molekularen Pathomechanismen der Erkrankung gewonnen und Rückschlüsse auf die Rolle von WT1 bei der Nieren- und Hodenentwicklung gezogen werden.

Die vor allem im Kindesalter auftretenden Wilms-Tumoren entstehen aus Nierenstammzellen, die statt in Nephrone zu differenzieren, unkontrolliert proliferieren. Die Tatsache, dass es sich um eine genetisch und histologisch sehr variable Tumorentität mit unterschiedlicher Tumorbiologie handelt, erschwert eine individualisierte Therapieoptimierung und Prognosestellung. Aus diesem Grund wurden hier Tumoren mit einer WT1-Mutation charakterisiert und getestet, ob sie eine spezifische Subentität bilden. Dabei zeigte sich, dass Tumorzellen mit einem funktionellen Verlust des Transkriptionsfaktors WT1 im Kern früh induzierten metanephrogenen Blastemzellen entsprechen, die fälschlicherweise vor allem in Stroma- und Skelettmuskelzellen differenzieren. Diese Differenzierungsstörung ist vermutlich auf die fehlerhafte Expression von Genen zurückzuführen, die normalerweise der Kontrolle von WT1 und seinem Interaktionspartner Par4 unterliegen. Es zeigte sich ferner, dass WT1-Keimbahnmutationen mit einem erhöhten Risiko für bilaterale Tumoren korrelierten. Da sich der zweite Tumor manchmal erst später manifestiert, scheint ein verlängertes Nachsorgeprogramm hier erforderlich zu sein. Die beiden Parameter, myogene Differenzierung und Bilateralität erinnern an den „fetal rhabdomyomatösen“ Tumor-Subtyp. Obwohl dieser auf präoperative Chemotherapie bezüglich Volumenreduktion kaum anspricht, haben die Patienten dennoch eine gute Prognose. Momentan wird von uns in einer retrospektiven Studie evaluiert, ob WT1-Mutationen zuverlässige molekulare Marker darstellen, um Tumoren zu identifizieren, die schlecht auf Chemotherapie ansprechen, aber dennoch eine gute Prognose haben. Diese Tumor-Subentität könnte in Zukunft von einer individualisierten Therapieoptimierung profitieren.

Eine intakte Nierenfunktion hängt maßgeblich von der Integrität der Glomeruli ab. Heterozygote Missense-Mutationen im WT1-Gen verursachen bei Patienten mit Denys-Drash-Syndrom nicht nur Wilms-Tumoren, sondern auch eine diffuse mesangiale Glomerulosklerose mit nephrotischem Syndrom und terminalem Nierenversagen vor dem 3. Lebensjahr. Bisher sind die molekularen Pathomechanismen dieser Erkrankung kaum erforscht, aber für das Auffinden neuer therapeutischer Angriffsziele von größter Bedeutung. Es fand sich hier, dass nicht nur Patienten mit einer diffusen mesangialen Sklerose im Rahmen des Denys-Drash-Syndroms WT1-Mutationen tragen, sondern auch Patienten mit einer isolierten Form der diffusen mesangialen Skelorose. Somit zählen auch diese zu den Hochrisiko-Patienten für einen Wilms-Tumor und sollten wie die Denys-Drash-Patienten bei einer Restfunktion der Niere engmaschig auf Wilms-Tumoren gescreent und im Falle eines terminalen Nierenversagens nephrektomiert werden. Im Rahmen dieser Arbeit zeigte sich ferner, dass WT1-Mutationen die normale Differenzierung von Podozyten und Endothelzellen in den Glomeruli beeinträchtigen und somit keine reife glomeruläre Basalmembran synthetisiert werden kann. Dieser Zusammenbruch der Filtrationsbarriere führt dann zum Ausschwemmen von Proteinen mit dem Urin. Mechanistisch liegt hier eine veränderte VEGFA-Signaltransduktion und folglich ein gestörter „Crosstalk“ zwischen Podozyten und Endothelzellen vor. Möglicherweise bieten sich hieraus neue Therapieangriffsziele.
Weitere Einblicke in die Pathogenese der WT1-assoziierten Glomerulosklerose gewann ich durch Expressionsanalysen an humanem Zellkultur-Material und während meines Forschungsaufenthaltes am Children’s Hospital in Boston an murinem Material. Zwei Kandidatengene werden in Zukunft den Schwerpunkt meiner Forschung ausmachen. Sulfatase 1, welche Sulfatgruppen von Heparansulfat-Seitenketten abspaltet und an der Signaltransduktion von Wachstumsfaktoren, wie z.B. VEGF, involviert ist, und ZFR, ein RNA-bindendes Protein in RNA-Granula, welche in Neuronen ein Reservoire an „stillen“ mRNA’s darstellen, die bei Bedarf aktiviert werden können. Ich konnte zeigen, dass dieser Mechanismus auch in Podozyten existiert und vermutlich diesen Zellen unter Stressbedingungen hilft, schnell in situ in den Podozytenfußfortsätzen wichtige mRNA’s zu translatieren. Beide Gene sind bei Denys-Drash-Syndrom herunterreguliert.

Heterozygote WT1-Spleißmutationen im Intron 9 und die daraus resultierende Verminderung der RNA-bindenden WT1-Isoformen verursachen im Rahmen des Fraisier-Syndroms eine Hodendysgenesie. Obwohl die zugrunde liegende genetische Ursache bekannt ist, fehlt die genaue Kenntnis darüber, wie eine Mutation diesen Phänotyp verursacht. Es zeigte sich hier, dass die Expression der Transkriptionsfaktoren SRY und SOX9 vermindert ist und Sertoli-Zellen nicht vollständig ausdifferenzieren. Dadurch kommt es in den Hodenkanälchen auch bei den Keimzellen zu Differenzierungsstörungen, welche sich als Spermatogenesearrest und als maligne Transformation von Keimzellen (ITGCNU) manifestieren. Dies verdeutlicht, dass für die Differenzierung von Sertoli-Zellen und Keimzellen eine geregelte „Kommunikation“ zwischen beiden Zelltypen erforderlich ist. Um in Zukunft die Interaktionen zwischen Sertoli-Zellen und Keimzellen in vitro studieren zu können, haben wir die erste humane Sertoli-Zelllinie etabliert.

Welche Funktion spielt nun WT1 während der normalen Nieren- und Gonadenentwicklung? Um dies zu beantworten, ist es hilfreich, nach gemeinsamen Mustern zwischen den drei vorgestellten humanen Erkrankungen zu suchen. Dabei stößt man auf die Tatsache, dass Zellen mit WT1-Mutationen nicht terminal ausdifferenzieren und dass durch eine gestörte Zell-Zell-Interaktion auch die umliegenden Nachbarzellen in einem unreifen Stadium verbleiben. Diese unreifen Zellen sind nicht in der Lage, ihre eigentliche Aufgabe im Zellverband zu erfüllen. Schlussfolgernd stellt WT1 also einen essentiellen Differenzierungsfaktor während der Nieren- und Gonadenentwicklung dar.
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Fachbereich / Einrichtung:Medizinische Fakultät » Institute » Institut für Humangenetik und Anthropologie
Dokument erstellt am:24.11.2009
Dateien geändert am:05.11.2009
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