Dokument: Ein (un)politischer Neurologe? Die Biografie Heinrich Pettes (1887-1964) im Spiegel von Wissenschaft und Politik

Titel:Ein (un)politischer Neurologe? Die Biografie Heinrich Pettes (1887-1964) im Spiegel von Wissenschaft und Politik
Weiterer Titel:A (non)political neurologist? The biography of Heinrich Pette (1887-1964) in the context of science and politics
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URN (NBN):urn:nbn:de:hbz:061-20250310-162744-2
Kollektion:Dissertationen
Sprache:Deutsch
Dokumententyp:Wissenschaftliche Abschlussarbeiten » Dissertation
Medientyp:Text
Autor: Quirl, Inga Franziska [Autor]
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Dateien vom 27.02.2025 / geändert 27.02.2025
Beitragende:Dr.med. Fangerau, Heiner [Gutachter]
Prof. Dr. Schnitzler, Alfons [Gutachter]
Stichwörter:Geschichte der Neurologie
Dokumententyp (erweitert):Dissertation
Dewey Dezimal-Klassifikation:900 Geschichte und Geografie » 920 Biografie, Genealogie
Beschreibungen:Heinrich Pette war einer der ersten Neurologen Deutschlands. Er wurde international bekannt durch seine Forschung auf dem Gebiet der Poliomyelitis und der Multiplen Sklerose. Biographische Arbeiten zu Pette fokussierten sich lange auf seine wissenschaftlichen Errungenschaften. Erst seit den späten 2000er Jahren findet eine Auseinandersetzung mit der politischen Vergangenheit Pettes statt. Im Zusammenhang mit medizinhistorischen Untersuchungen der letzten Jahre entschieden sich sowohl die Deutsche Gesellschaft für Neurologie als auch das Leibniz-Institut für Virologie vor dem Hintergrund von Pettes NS-Vergangenheit für die Umbenennung einer nach Pette benannten wissenschaftlichen Ehrung und der von Pette gegründeten Hamburger Forschungseinrichtung. Ein Grund für die späte Auseinandersetzung mit dem politischen Leben Pettes findet sich in der vehementen Eigen- und Fremddarstellung Pettes als unpolitischen Wissenschaftler.
Ausgehend von einer breit angelegten Literaturrecherche und -Analyse wird in dieser Dissertation die komplexe Beziehung zwischen Politik und Wissenschaft in Pettes Biografie untersucht. Die Betrachtung Pettes in diesem Kontext ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund der drei großen politischen Systeme (die Weimarer Republik, der Nationalsozialismus und die BRD), über die sich das Leben des Neurologen erstreckte, relevant. Die Befunde werden in Beziehung gesetzt zu den Erinnerungen von Pettes Sohn, die im Rahmen von Zeitzeugengesprächen erhoben wurden.
Als zweiter Vorsitzender der Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater und Inhaber des neurologischen Lehrstuhls in Hamburg war Heinrich Pette zur NS-Zeit der verbandspolitisch mächtigste Neurologe Deutschlands. In Pettes Leben finden sich zahlreiche Verflechtungen zwischen Politik und Wissenschaft. Bedeutende Bereiche sind hierbei sein fachgesellschaftliches Engagement, sein Eintreten für die Fortentwicklung der Neurologie in Deutschland, sein nationen-übergreifender Einsatz gegen die Poliomyelitis und seine politisch motivierte Forschung.
In gewisser Weise personifiziert Pettes wissenschaftliches und politisches Engagement das, was Mitchell G. Ash im Verhältnis der Systeme Wissenschaft und Politik als „Ressourcen füreinander“ beschreibt. Pette interagierte mit den jeweils bestehenden politischen Systemen, um seine wissenschaftliche Karriere und die Entwicklung der Neurologie in Deutschland voranzutreiben.
Nach dem Ende des sogenannten Dritten Reichs nutzte er in der Demokratie das Narrativ des unpolitischen Wissenschaftlers als Entlastungs- und Rechtfertigungsstrategie. Obwohl diese Strategie hinsichtlich des Entnazifizierungsverfahrens des Neurologen und in Zusammenhang mit seiner Rolle im „Heyde-/Sawade-Prozess“ aufging, zeigt Pettes Lebensweg, dass dieses Narrativ mit Blick auf sein mit beiden Systemen verwobenen Engagement im Rückblick nicht greifen kann.

Heinrich Pette was one of the first “pure” neurologists in Germany. He became internationally known for his research in poliomyelitis and multiple sclerosis. As the second president of the Society of German Neurologists and Psychiatrists (GDNP) and professor of neurology in Hamburg, Heinrich Pette was the most powerful neurologist in Germany during the Nazi era. Biographical works on Pette have focused on his scientific achievements. Since the late 2000s, Pette´s political past has also been examined, particularly with regard to the Nazi era. In connection with medical- historical investigations in recent years, the German Society of Neurology decided to rename the „Heinrich Pette Prize“, a scientific award named after the neurologist and the Heinrich Pette Institute – Leibniz Institute of Virology, an institution founded by Pette, dropped his name in light of Pette´s Nazi past. One reason for the late examination of Pette´s political life is the portrayal of Pette as an apolitical scientist.
Based on printed and archival sources as well as oral history, this dissertation examines the complex relationship between politics and science in Heinrich Pette´s biography. The study of the scientist Pette in this context is relevant not least against the background of the three major political systems (Weimar Republic, National Socialism, and the Federal Republic of Germany) through which the neurologist´s life passed.
There are numerous links between politics and science in Pette´s life. Important areas include his involvement in professional societies and his advocacy for the specialization and professionalization of neurology in Germany, his national and international public health campaign against poliomyelitis, and his politically motivated research in then-popular fields such as syphilis, encephalitis epidemica, and poliomyelitis.
In a sense, Pette´s scientific and political engagement embodies what Mitchell G. Ash describes as "resources for each other" in the relationship between science and politics. Pette interacted with the existing political systems and their social structures to advance his scientific career and the development of neurology in Germany. After the end of the so-called Third Reich, he used the narrative of the apolitical scientist as a strategy of exoneration and justification in his favor. Although this strategy worked both in relation to the neurologist's denazification proceedings and in connection with his role in the "Heyde/Sawade trial", Pette's life shows that, in retrospect, this narrative cannot hold to be true in view of his involvement in politics.
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Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz
Fachbereich / Einrichtung:Medizinische Fakultät » Institute » Institut für Geschichte der Medizin
Dokument erstellt am:10.03.2025
Dateien geändert am:10.03.2025
Promotionsantrag am:17.07.2024
Datum der Promotion:25.02.2025
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