Dokument: Die subjektive Geburtserfahrung aus psychologischer Sicht: Erinnerung, Einflussgrößen und die professionelle Perspektive

Titel:Die subjektive Geburtserfahrung aus psychologischer Sicht: Erinnerung, Einflussgrößen und die professionelle Perspektive
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URN (NBN):urn:nbn:de:hbz:061-20240715-150938-8
Kollektion:Dissertationen
Sprache:Deutsch
Dokumententyp:Wissenschaftliche Abschlussarbeiten » Dissertation
Medientyp:Text
Autor: Märthesheimer, Sarah [Autor]
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Dateien vom 11.07.2024 / geändert 11.07.2024
Beitragende:PD Dr. Schaal, Nora K. [Gutachter]
Prof. Dr. Bayen, Ute J. [Gutachter]
Dewey Dezimal-Klassifikation:100 Philosophie und Psychologie » 150 Psychologie
Beschreibungen:Die Geburt eines Kindes stellt eine besondere Schwellenerfahrung dar, die auch im Fall der gewünschten Mutterschaft sehr weitreichende psychologische Folgen haben kann. Diese können die mentale Gesundheit, die Beziehung zum Kind und die Partnerschaft betreffen. Die geburtsbegleitenden Hebammen und Ärzt*innen sind aus der subjektiven Perspektive der Frauen sowohl für positive als auch für belastende Geburtserfahrungen von besonderer Bedeutung. Die bisherige Forschung zeigt, dass die subjektive Geburtserfahrung komplexen medizinischen und psychosozialen Einflussfaktoren unterworfen und keine stabile Erinnerung ist, die einfach punktuell ermittelt werden kann. Die genauen Veränderungen der Gesamtzufriedenheit und der differenzierten Facetten der Geburtserfahrung und ihr Zusammenhang zur mentalen Gesundheit sind, genau wie der Einfluss von der weitverbreiteten Geburtsangst und ungeplanten Kaiserschnitten, noch längst nicht hinlänglich verstanden. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, differenzierte Veränderungen der subjektiven Geburtserfahrung im ersten halben Jahr nach der Geburt zu beschreiben und wichtige Einflussgrößen wie der Geburtsangst und des Geburtsmodus zu berücksichtigen. Der Zusammenhang zwischen der subjektiven Geburtserfahrung und der mentalen Gesundheit der Frauen soll untersucht werden. Außerdem soll der Frage nach der Einschätzbarkeit des subjektiven Geburtserlebens durch die geburtsbegleitenden Hebammen und Ärzt*innen nachgegangen und besonders die Erkennbarkeit vulnerabler Frauen erforscht werden.
Studie 1 untersucht mit einer prospektiven Längsschnitterhebung die Veränderungen der subjektiven Geburtserfahrung bei insgesamt 377 Erstgebärenden mit angestrebter Spontangeburt zu einem präpartalen (34. Schwangerschaftswoche) und drei postpartalen Messzeitpunkten (2 Tage, 6 Wochen und 6 Monate). Zum ersten Messzeitpunkt im letzten Schwangerschaftstrimenon wurde die Angst vor der anstehenden Geburt ermittelt. Mit visuellen Analogskalen zur Gesamtzufriedenheit und dem auf Deutsch validierten Childbirth Experience Questionnaire wurde der Verlauf der Geburtsdimensionen Emotionale Erfahrung, Bewältigungsmöglichkeiten, professionelle Unterstützung und Partizipation erfasst und in Zusammenhang zu psychischen Belastungssymptomen der postpartalen Depression (mit der Edinburgh Postpartum Depression Scale) und posttraumatischen Stresssymptomen (mit der Impact of Event Scale nach einer Geburt) gesetzt. Der Einfluss der präpartalen Geburtsangst (mit vs. ohne Geburtsangst) und des tatsächlich stattgefundenen Geburtsmodus (vaginal vs. Kaiserschnitt) wurde in die Analyse mitaufgenommen. Die Gesamtzufriedenheit sowie die Bewältigungsmöglichkeiten wachsen in den ersten 6 Monaten, während der wahrgenommene Grad der Partizipation und der professionellen Unterstützung geringer wird. Die meisten Veränderungen entwickeln sich dabei zwischen 2 Tagen und 6 Wochen nach der Geburt. Die Qualität der Emotionalen Erfahrung ist einem komplexen Zusammenspiel zwischen Geburtsangst, Geburtsmodus und Zeit unterworfen. Geburtsängstliche Frauen zeigen insgesamt, in allen Subdimensionen der Geburtserfahrung und über den gesamten Messzeitraum hinweg, eine geringere Zufriedenheit als nicht-geburtsängstliche Frauen, während ein ungeplanter Kaiserschnitt nur die Gesamtzufriedenheit, die emotionale Erfahrung und die Partizipation reduziert. Sowohl für die Gesamtzufriedenheit als auch für alle Subdimensionen finden sich schwache bis mittelgradige negative Zusammenhänge zur depressiven wie auch zur posttraumatischen Stress-Symptomatik.
Studie 2 stellt in einer prospektiven Längsschnittuntersuchung den Zusammenhang zwischen der subjektiven Geburtserfahrung von insgesamt 478 Erstgebärenden mit geplanter Spontangeburt einerseits zu der geschätzten Geburtszufriedenheit durch die geburtsbegleitenden Hebammen und Ärzt*innen andererseits her. Die Gesamtgeburtszufriedenheit und die Dimensionen pevceived safety, own capacity, professional support und participation wurden für die Frau zu drei postpartalen Messzeitpunkten (2 Tage, 6 Wochen und 6 Monate) mit dem Childbirth Experience Questionnaire und die Schwellenüberschreitung von posttraumatischen Belastungssymptomen in Folge der Geburt mit der Impact of Event Scale erfasst. Das geburtsbegleitende Personal schätzte die subjektive Geburtserfahrung der Frau auf einem korrespondierenden Kurzfragebogen zu der Gesamtzufriedenheit, den Subdimensionen mit visuellen Analogskalen und das Vorliegen einer traumatischen Geburtserfahrung kurz nach der Geburt ein. Während die Gesamtzufriedenheit der Frauen tendenziell richtig eingeschätzt wurde, sind einzelne Subdimensionen wie die professionelle Unterstützung und Teilhabe schwieriger zu antizipieren. Je nach Messzeitpunkt leiden 10-20 % der Frauen unter posttraumatischen Stressreaktionen, von denen der überwiegende Anteil (86 %) nicht als solche durch die geburtsbegleitende Hebamme oder Ärzt*in erkannt wurden.
Die vorliegende Arbeit ermittelt wichtige Ergebnisse über die differenzierte Veränderungen der subjektiven Geburtserfahrung und den Zusammenhang zur psychischen Gesundheit in den ersten 6 Monaten nach der Geburt. Präpartale Geburtsangst hat im Vergleich zum Geburtsmodus einen umfassenden und anhaltenden negativen Einfluss auf die Geburtserfahrung. Empfehlenswerte diagnostische Zeiträume für die Geburtserfahrung und die Relevanz der präpartalen Geburtsangst sowie der Zusammenhang zur mentalen Gesundheit werden diskutiert. Die normale Betreuung unter Geburt ermöglicht es den geburtsbegleitenden Hebammen und Ärzt*innen, die Gesamtzufriedenheit der Frauen tendenziell korrekt einzuschätzen. Für traumatisierende Geburtsverläufe gibt es dagegen nur eine mangelhafte Sensibilität. Aufgrund der hohen Bedeutsamkeit der geburtsbegleitenden Expert*innen bestehen hier Chancen zur Optimierung in der professionellen Handlungsreflexion und zur Erkennbarkeit besonders vulnerabler Frauen. Die Arbeit ergänzt das bestehende Wissen zur psychologischen Versorgung von Frauen in einer besonders sensiblen Lebensphase und ist von gesamtgesellschaftlicher Relevanz.

Childbirth is a special threshold life event that can have far-reaching psychological consequences, even in the case of desired motherhood. These can affect mental health, the relationship with the child and the partnership. The midwives and gynaecologists attending the birth are of particular importance for both positive and stressful birth experiences from the subjective perspective of the women. Previous research has shown that the subjective birth experience is influenced by complex medical and psychosocial factors and is not a stable memory that can simply be determined at certain time points. The exact changes in overall satisfaction and the differentiated facets of the birth experience and their relation to mental health, as well as the influence of widespread fear of childbirth and unplanned caesarean sections, are still far from being sufficiently understood. The aim of this study is to describe differentiated changes in the subjective birth experience during the first six months after the birth and to take into account important influencing factors such as birth anxiety and the mode of birth. The main focus of this research is the connection between the subjective birth experience and the women’s mental health. In addition, the question of birth experience’s assessability by midwives and gynaecologists attending the birth will be investigated and, in particular, the identification of vulnerable women will be analysed.
Study one uses a prospective longitudinal study to investigate the changes in the subjective birth experience in a total of 377 first-time mothers with an intended spontaneous birth at three measurement points after the birth (2 days, 6 weeks and 6 months). Using visual analogue scales on overall satisfaction and the Childbirth Experience Questionnaire validated in German, the course of the birth dimensions of emotional experience, coping possibilities, professional support and participation was recorded and correlated with psychological stress symptoms of postpartum depression (using the Edinburgh Postpartum Depression Scale) and post-traumatic stress symptoms (using the Impact of Event Scale). The influence of fear of childbirth in the last trimester of pregnancy (with vs. without birth anxiety) and the final mode of birth (vaginal vs. caesarean section) was included in the analysis. Overall satisfaction and the ability to cope increase within the first 6 months, while the perceived degree of participation and professional support decrease. Most changes develop between 2 days and 6 weeks after the birth. The quality of the emotional experience is subject to a complex interplay between fear of childbirth, birth mode and time. Women with fear of childbirth show lower satisfaction overall, in all sub-dimensions of the birth experience and over the entire measurement period than women without fear of childbirth. An unplanned caesarean section only reduces overall satisfaction, emotional experience and participation. Weak to moderate negative correlations to depressive and post-traumatic stress symptoms were found for overall satisfaction as well as for all sub-dimensions.
In a prospective longitudinal study, study two establishes the relationship between the subjective birth experience of a total of 478 first-time mothers with a planned spontaneous birth on the one hand and the estimated birth satisfaction of 43 midwives and 43 doctors attending the birth on the other. Overall birth satisfaction and the dimensions of perceived safety, own capacity, professional support and participation were recorded for the women at three postpartum measurement points (2 days, 6 weeks and 6 months) using the Childbirth Experience Questionnaire and post-traumatic stress symptoms following the birth also using the Impact of Event Scale. The staff attending the birth assessed the women's subjective birth experience on a corresponding short questionnaire on overall satisfaction, the sub-dimensions with visual analogue scales and the presence of a traumatic birth experience shortly after the birth. While the women's overall satisfaction tended to be correctly assessed, individual sub-dimensions such as professional support and participation were more difficult to anticipate. Depending on the time of measurement, 10-20% of women suffer from post-traumatic stress reactions, the majority of which (86%) were not recognised as such by the midwife or gynaecologists attending the birth.
This study establishes important facts about the differentiated changes in the subjective birth experience and the connection to mental stress symptoms in the first 6 months after birth. Prepartum fear of childbirth has a comprehensive and persistent negative impact on birth experience compared to the mode of birth. Recommended diagnostic periods for the birth experience and the relevance of prepartum labour anxiety and its relationship to mental health are discussed. The normal care during labour enables the midwives and doctors attending the birth to correctly assess the overall satisfaction of the women. In contrast, there is a lack of sensitivity to traumatising birth processes. Due to the great importance of the experts accompanying the birth, there are opportunities to optimise professional reflection and to identify particularly vulnerable women. The work supplements existing knowledge on the psychological care of women in a particularly sensitive phase of life and is of social interest.
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Fachbereich / Einrichtung:Mathematisch- Naturwissenschaftliche Fakultät » WE Psychologie » Allgemeine Psychologie
Dokument erstellt am:15.07.2024
Dateien geändert am:15.07.2024
Promotionsantrag am:10.04.2024
Datum der Promotion:19.06.2024
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