Dokument: “Valore” e “Scelta”: Possibilità Libertà e Storia in Max Weber
Titel: | “Valore” e “Scelta”: Possibilità Libertà e Storia in Max Weber | |||||||
Weitere Titel: | „Wert” und „Wahl”: Möglichkeit Freiheit und Geschichte in Max Weber "Value" and "Choice": Possibility Freedom and History in Max Weber | |||||||
URL für Lesezeichen: | https://docserv.uni-duesseldorf.de/servlets/DocumentServlet?id=21166 | |||||||
URN (NBN): | urn:nbn:de:hbz:061-20120419-135651-8 | |||||||
Kollektion: | Dissertationen | |||||||
Sprache: | Italienisch | |||||||
Dokumententyp: | Wissenschaftliche Abschlussarbeiten » Dissertation | |||||||
Medientyp: | Text | |||||||
Autor: | Dr. Maestro, Adriana [Autor] | |||||||
Dateien: |
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Beitragende: | Prof. Dr. Di Marco, Giuseppe Antonio [Betreuer/Doktorvater] Prof. Dr. Bühler, Axel [Betreuer/Doktorvater] | |||||||
Stichwörter: | „Wert” und „Wahl”: Möglichkeit Freiheit und Geschichte in Max Weber | |||||||
Dewey Dezimal-Klassifikation: | 100 Philosophie und Psychologie » 190 Moderne westliche Philosophie | |||||||
Beschreibung: | Wir haben uns vorgenommen im Verlauf unserer Darlegungen aufzuzeigen, dass sich das Denken Max Webers um die Kategorie der Sinngebung zentriert, und dass über diese und einige damit aufs engste verknüpfte Problematiken der Kern der Fragestellungen aufzuspüren ist, um die sich unserer Ansicht nach sein Denken zentriert.
Bevor wir Webers Begriff des sinnhaften Handelns analysieren – nach seiner eigenen Definition das spezifische Objekt der Soziologie –und dessen Implikationen sowohl auf empirischer als auch theoretischer Ebene, haben wir zunächst mit Webers logisch-methodologischem Ansatz in Bezug auf die Definition des Objekts der Geschichts-und Sozialwissenschaften und auf die Frage ihrer wissenschaftlichen Legitimität beschäftigt. Es handelt sich kurzgefaßt um das Problem von Objekt und Methode der Geschichts-und Sozialwissenschaften, dekliniert in seinen vorrangigen Denkmodellen, deren philosophische Bedeutung wir versucht haben herauszustellen. Erst in der Folge sind wir zur eigentlichen Analyse des sinnhaften Handelns und der Sinngebung übergegangen und haben dabei Bedeutung und Implikationen in existenzphilosophischer Hinsicht hervorgehoben. Wir sind also von der Definition des Objekts der Kulturwissenschaften nach Weber ausgegangen. Gerade die Definition ihres Gegenstandes ist die erste Schwierigkeit, mit der sich die Kulturwissenschaft konfrontiert sieht. In der Tat, angesichts einer aus den Naturwissenschaften entlehnten Definition, nach der wissenschaftliche Erkenntnis sich aus der Erforschung von Regelmäßigkeit, notwendigen und universell gültigen Gesetzen begründet, resultiert die Problematik der Geschichts- und Sozialwissenschaften aus der Eigentümlichkeit ihres Objekts, das sich nicht nach notwendigen Gesetzen einordnen lässt. Weil sich im Gegensatz zu den Naturwissenschaften das Interesse der Sozial- und Geschichtswissenschaften auf die qualitativen Aspekte richtet, die individuelle Konfiguration der Wirklichkeit, die sich nicht unter Gattungsbegriffe zwingen lässt, sich also gerade mit den Aspekten befasst, die für die Naturwissenschaften gänzlich zu vernachlässigen sind. Mehr noch, ihr primäres Objekt sind ja gerade die kulturellen Phänomene und Ereignisse, das menschliche Handeln, und demnach müssen sie sich unvermeidlich mit dem Thema der Freiheit eines solchen Handelns konfrontieren. Diese unabdingbare Auseinandersetzung mit dem Problem der menschlichen Freiheit, die für gewöhnlich nach aus den Naturwissenschaften entlehnten Parametern als Unberechenbarkeit, Unfaßbarkeit, Irrationalität ausgelegt wird, erschwerte es diesen Forschungsdisziplinen zusätzlich, als Wissenschaften anerkannt zu werden. Zwei aufs engste verbundene Fragen werden also verhandelt: die Besonderheit des Objekts der Geschichts- und Sozialwissenschaften und die sich daraus ergebende Frage nach dem logischen Statut jener Wissenschaften, oder, nach ihrer Legitimität im Verhältnis zu den Naturwissenschaften. Darüberhinaus das so komplexe Problem des Kausalprinzips im Gegensatz zum Freiheitsprinzip, also der Möglichkeit eines ursächlichen Erklärens auch der menschlichen Ereignisse. Es war nicht unsere Absicht uns an dieser Stelle auf eine umfassende und differenzierte Debatte einzulassen, wie sie vor allem in den Jahrzehnten vor und nach der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert leidenschaftlich geführt wurde. Die kurzen Andeutungen hatten die Funktion, Webersche Positionen in Bezug auf die genannten Fragestellungen einzuführen, um im Verlauf der Abhandlung jene Implikationen und Konsequenzen deutlich zu machen, die wir als bedeutsam für unsere These erachten. Als Gegenstand geschichtlich-soziologischer Forschung definiert Weber also das mit subjektivem Sinn verbundene Handeln. Dieses sinnhafte Handeln bildet das gemeinsame Objekt von Soziologie und Geschichte, die sich in ihren Aufgaben ansonsten differenzieren – hier die Feststellung typischer Formen menschlichen Handelns, dort die Erklärung der Einzelphänomene in ihrer konkreten Ausformung. “Soziologie (…) soll heißen: eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will. »Handeln« soll dabei ein menschliches Verhalten (…) heißen, wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden.” Wie auch: “»Handeln« aber (…) heißt uns stets ein verständliches, und das heißt ein durch irgendeinen, sei es auch mehr oder minder unbemerkt, »gehabten« oder »gemeinten« (subjektiven) Sinn spezifiziertes Sichverhalten zu »Objekten«.” In diesen wenigen Zeilen sind eine Reihe von Fragekomplexen enthalten, die es wert sind, gesondert und eingehender untersucht zu werden: 1) vor allem die Definition des Handelns, vorrangig verstanden als menschliches Verhalten gemäß eines subjektiven Sinns; 2) die Definition des Erkenntnisprozesses eines solchen Handelns als eines interpretatorischen, deutenden Vorgangs; 3) die damit verbundene Frage nach der Notwendigkeit einer ursächlichen Erklärung eines solchen Handelns. Sinnhaftes Handeln bedeutet letzten Endes ein orientiertes, mit einer Intention verbundenes, vor allem ein motiviertes Handeln. Motiviertes Handeln ist für Weber nicht notwendigerweise rationales Handeln, jedoch im erweiterten Sinne ein Handeln, bei dem das Subjekt seine Aktionen bewusst ausrichtet, sei es auf das Erreichen eines Zwecks, auf die Behauptung eines Werts, eines Affekts oder einer Tradition. Da wir uns an dieser Stelle nicht in die typologische Kasuistik der verschiedenen Formen des Handelns vertiefen können, möchten wir aus dem genannten hervorheben, dass ein Handeln also insofern sinnhaft ist, als es orientiert ist, gemeint in bewusster Weise und somit nicht impulsive Antwort auf Gefühlsverfassungen, dunkle Reaktion oder automatische Anpassung auf erworbene Gewohnheiten sein kann. Aus diesem Grund sind gefühlsmäßiges Handeln oder an Traditionen gebundenes Handeln “an der Grenze und oft jenseits dessen, was bewusst »sinnhaft« orientiert ist” . Mit der Kategorie der Sinngebung bringt Weber – gegen alle Formen von Geschichtsphilosphie - in Gestalt der Motivation auf nachdrücklich Weise wieder das Kausalelement in die Geschichte ein, ohne dabei die Kategorie der Kausalität auf die Geschichte, auf die empirischen Wissenschaften des Handelns anwenden zu müssen. Im teleologischen Sinn orientiertes Handeln und Kausalprinzip sind auf diese Weise keine einander widersprechenden Begriffe. Sinngebung versöhnt Welt der Zwecke mit Kausalprinzip, kausales Erklären mit freiem Handeln. “Je »freier« (…) das »Handeln« ist, d.h. je weniger es den Charakter des »naturhaften Geschehens« an sich trägt, desto mehr tritt damit endlich auch derjenige Begriff der »Persönlichkeit« in Kraft, welcher ihr »Wesen« in der Konstanz ihres inneren Verhältnisses zu bestimmten letzten »Werten« und Lebens-»Bedeutungen« findet, die sich in ihrem Tun zu Zwecken ausmünzen und so in teleologisch-rationales Handeln umsetzen.” Betrachtet man als Objekt der empirischen Kulturwissenschaften das Handeln, und im besonderen das individuelle Handeln, natürlich im Zusammenhang mit Relevanz und Konditionierung durch äußere Faktoren, wird verständlich, weshalb es zur Erklärung historischer oder soziologischer Phänomene des Verständnisses der Genese, das heißt der Motivation, dieses Handelns bedarf. Das Verständnis der Motivation wird so für Weber in den Geisteswissenschaften das Äquivalent der Kausalerklärung, mit all den Problemen, die eine Rekonstruktion der Motivation nicht allein für den Forscher mit sich bringt, sondern auch für das agierende Subjekt. Die Motivationen, die Ursachen der Handlung zu verstehen, ist die Aufgabe des Historikers. Dies ist möglich, da menschliches Handeln strukturell sinnhaft ist, das heißt motiviert und insofern verständlich. Die verstehende Deutung mit den Mitteln der idealtypischen Konzepte Verursachung und Wertbeziehung stellt die Erkenntnis-Methodologie dar, die “eine schlechthin unendliche Mannigfaltigkeit von nach- und nebeneinander auftauchenden und vergehenden Vorgängen, »in« uns und »außer« uns” , die “absolute Unendlichkeit” der Phänomene, den “Strom des unermesslichen Geschehens” , “die Unendlichkeit von ursächlichen Momenten, die das Zustandekommen des einzelnen »Vorgangs« bedingt hat” mit dem Bedürfnis nach einer ursächlichen Erklärung der einzelnen Phänomene und Prozesse zusammenhalten kann. Dies ohne notwendige Erklärung zu werden, geschlossenes Begriffssystem, aus dem heraus die Wirklichkeit deduziert werden müsste, jedoch in “Form eines bedingten Notwendigkeitsurteils (…) und daher zugleich mit einer teleologischen »Wertung« des empirisch konstatierbaren Handelns in Eins zusammenfließen” kann. Mit seinem methodologischen Ansatz unternimmt es Weber, die offene Unendlichkeit der Möglichkeiten, denen der Lauf der menschlichen Vorgänge ausgesetzt ist, den ewig unerschöpflichen Fluß des Lebens, zugleich mit der Forderung nach einer ursächlichen Erklärung der Vorgänge zu garantieren; das Prinzip der Freiheit also, mit dem Kausalprinzip. Dies ist, wie wir meinen, gerade deshalb möglich, da die transzendentale Struktur sinnhaften Handelns ebenso dem Forscher in seinem Erkenntnisansatz gemein ist. Unserer Ansicht nach sind die folgenden berühmten Aussagen Webers in seinem Aufsatz zur Objektivität, obgleich sie in diesem Kontext ausdrücklich logische Wertigkeit besitzen und sich damit auf den Erkenntnisansatz des Forschers beziehen, gerade auch in einem anderem Sinne zu lesen, was gemeinhin nicht getan wird: “Transzendentale Voraussetzung jeder Kulturwissenschaft ist nicht etwa, daß wir eine bestimmte oder überhaupt irgend eine »Kultur« wertvoll finden, sondern daß wir Kulturmenschen sind, begabt mit der Fähigkeit und dem Willen, bewußt zur Welt Stellung zu nehmen und ihr einen Sinn zu verleihen” ; sowie: “»Kultur« ist ein vom Standpunkt des Menschen aus mit Sinn und Bedeutung bedachter endlicher Ausschnitt aus der sinnlosen Unendlichkeit des Weltgeschehens” . So bedeuten diese Aussagen auch, daß die transzendentale Voraussetzung der Kulturwissenschaften die Tatsache ist, daß die Menschen sich in der Welt durch sinnhafte, in diesem Sinne motivierte Handlungen, orientieren. Gerade dies befähigt den Forscher zum deutenden Verständnis menschlicher Handlungen. “Infolge der eminenten faktischen Bedeutung des in diesem Sinn »zweckbewußten« Handelns in der empirischen Wirklichkeit läßt sich die »teleologische« Rationalisierung als konstruktives Mittel zur Schaffung von Gedankengebilden verwenden, welche den außerordentlichsten heuristischen Wert für die kausale Analyse historischer Zusammenhänge haben. Und zwar können diese konstruktiven Gedankengebilde zunächst rein individuellen Charakters: Deutungs-Hypothesen für konkrete Einzelzusammenhänge sein.” Und weiter, in Bezug auf den teleologischen Entwurf rationalen Handelns, dessen empirische Gültigkeit (empirische Gültigkeit und logische Evidenz sind durchaus keine äquivalenten Begriffe), insofern Idealtypus, problematisch ist: “jene Schemata sind aber »idealtypische Begriffsbildungen«. Weil die Kategorien »Zweck« und »Mittel« bei ihrer Anwendung auf die empirische Wirklichkeit deren Rationalisierung bedingen, deshalb und nur deshalb ist die Konstruktion solcher Schemata möglich.” Sowie an anderer Stelle zur Problematik kausaler Zuschreibung: “Dies ist ja an (…) [der] Formulierung: daß die Geschichte die Ereignisse vom Standpunkt des »Werdens« aus betrachte und daher ihr Objekt der »Notwendigkeit«, die dem »Gewordenen« eigne, nicht unterstehe, das Richtige, daß der Historiker bei der Würdigung der kausalen Bedeutung eines konkreten Ereignisses ähnlich verfährt, wie der stellungnehmende und wollende historische Mensch, der niemals »handeln« würde, wenn ihm sein eigenes Handeln als »notwendig« und nicht als nur »möglich« erschiene.” Die Zitate zeugen von der Existenz einer Brücke, einer Verbindung zwischen Wirklichkeits- und Erkenntnisebene - nach unserer Auffassung gerade in Form der Sinngebung, die einen lebendigen Kreislauf zwischen Realität und geschichtlichem Bewußtsein schafft. Allerdings sollte man beachten, daß es sich hier um eine transzendentale Bedingung handelt, also um ein rein formales Prinzip. Es wäre ein großes Mißverständnis, dasjenige, was endgültig getrennt ist, wieder verknüpfen zu wollen, das heißt die Entsprechung von Begriff und Wirklichkeit. Als Folgerung aus dem bisher Dargelegten möchten wir behaupten, daß die Kategorie der Sinngebung die Rolle ersetzt, die Rickert der Wertbeziehung zuerkennt und damit am bezeichnendsten Webers Entfernung von den Positionen Rickerts markiert, dem er, wie er selbst anerkennt, ungemein viel verdankt. Doch handelt es sich in gewissem Sinne um ein stilles Sich-Distanzieren. Für Rickert stellen die Werte nicht nur das theoretische Kriterium der Orientierung dar, auf dessen Basis der Historiker seine Objekte, die geschichtlichen Individuen, rekonstruiert, sondern vielmehr die Prinzipien, an denen der Mensch konkret sein Leben orientiert. Sie bilden somit, auch unter rein formalen Aspekten – nicht im Sinne, daß sie inhaltsleer wären, sondern daß aus logischer und gnoseologischer Sicht der Inhalt keine Rolle spielt – sowie in ihrer Geschichtlichkeit eine Art von Verbindungsglied zwischen empirisch erfaßbarer Wirklichkeit und Erkenntnis. Der theoretischen Wertbeziehung entspricht also eine Ausrichtung des Menschen auf Werte, die allgemeingültig sind augrund ihres transzendentalen Charakters. Die Werte, die die Untersuchungen des Historikers leiten, entsprechen jenen der historischen Centren, den Akteuren geschichtlicher Vorgänge, die wiederum Objekt seiner Untersuchungen sind. Bei Weber hat die Wertbeziehung, verstanden als theoretische Wertbeziehung, dieselbe fundamentale Wichtigkeit in Bezug auf die Konstruktion der historischen Objekte, allerdings besitzt sie keine Verbindungsfunktion mehr, sie ist ersetzt durch das umfassendere Konzept der Sinngebung, man koennte sagen, durch die Fähigkeit des Menschen, sich in der Welt vermöge eines Sinns zu orientieren, der ein Wert sein kann für sich selbst, aber nicht notwendigerweise – und in diesem Falle also ein absolut gültiger Wert für den einen sein kann, ohne es für einen anderen zu sein. Die Sinngebung, jedoch nicht der Sinn an sich, besitzt transzendentale Dimension. Sinn ist Produkt des Menschen und dem Fluß des Werdens ausgesetzt, ist nicht dauerhaft, sondern fließend, in der Tat ein historisches Produkt. In gewisser Weise können wir sagen, daß für Weber die Geschichte der Menschheit die Geschichte seines Vermögens ist, Sinn herzustellen und daß historische Erkenntnis sich gerade damit beschäftigt diesen Prozess zu verfolgen. Während bei Rickert, wie wir folgern möchten, die große Abwesende gerade die Geschichte selbst ist, verdrängt von geschichtlicher Erkenntnis und Geschichtsphilosophie, schafft in Weber Sinngebung einen lebendigen Kreislauf zwischen Geschichte und geschichtlicher Erkenntnis, weil es “das Schicksal einer Kulturepoche, die vom Baum der Erkenntnis gegessen hat, ist wissen zu müssen, daß wir den Sinn des Weltgeschehens nicht aus dem noch so sehr vervollkommneten Ergebnis seiner Durchforschung ablesen können, sondern ihn selbst zu schaffen imstande sein müssen, daß »Weltanschauungen« niemals Produkt fortschreitenden Erfahrungswissens sein können, und daß also die höchsten Ideale, die uns am mächtigsten bewegen, für alle Zeit nur im Kampf mit anderen Idealen sich auswirken, die anderen ebenso heilig sind, wie uns die unseren.” Soweit die Fragestellungen und die Argumentationslinie, die wir uns im Verlauf dieser Arbeit vorgenommen haben zu entwickeln. Wir sind in unseren Darlegungen also von der zentralen Rolle der Kategorie der Sinngebung bei Weber ausgegangen, und kosequenterweise des individuellen sinnhaften Handelns, in der Ansicht, daß diese beiden Elemente den fundamentalen Kern seines Denkens und damit seines wiewohl so vielschichtigen wie ausgedehnten Werkes darstellen. Wir sind uns bewusst, dass beim Angehen solcher Fragen wie dem zentralen Problem im Denken eines Autors größte Vorsicht geboten ist, im speziellen eines Autors wie Weber, der sich vermutlich niemals in diesem Sinne geäußert hätte, vielmehr gewünscht hätte, daß sich sein Denken in empirischer Forschung ausdrückt. Doch die Auffassung Webers von der Sinngebung als transzendentaler Bedingung der Kulturwisenschaften; wie vom individuellen sinnhaften Handeln als dem atomaren Kern geschichtlichen Lebens und dem Hauptobjekt der Kulturwissenschaften, drängen sich uns als Nukleus seiner antiontologischen Positionen und seiner Treue zur Konkretheit des Realen auf, die als alleinige wahre Wirklichkeit betrachtet wird - wie das Zeichen einer spezifischen Besonderheit seines Denkens, die nicht umgangen oder von anderem assimiliert werden kann. Daher die Gegenüberstellung mit Rickert, der uns nicht eigentlich interessiert, da nicht unser Thema, in gewissem Sinne aber unvermeidbar ist wegen des Blickwinkels unter dem wir diese Arbeit angegangen sind: das heißt, über das logisch-methodologische Instrumentarium Webers, das unweigerlich auf Rickert verweist; und auch, da der Vergleich beider Autoren in Fragestellungen zu Recht eindeutig rickertscher Herkunft uns dienlich war, die spezifischen Besonderheiten Webers im Kontrast klar herauszustellen. Wie bereits erwähnt, haben wir bewußt einen logisch-methodolgischen Weg verfolgt, und die Bedeutung und die Zentralität der Sinngebung und des individuellen sinnhaften Handeln anhand einiger Elemente des logischen Instrumentariums von Weber analysiert: am Prozess der verstehenden Deutung, dem Idealtypus, der Kategorie der objektiven Möglichkeit und der adäquaten Verursachung; dabei haben wir versucht aufzuzeigen, wie darüber im Denken Webers Kategorien wie Möglichkeit, Freiheit, Geschichtlichkeit, verstanden als Kategorien der Existenz, ihren Weg machen. Dies aus zwei Beweggründen: In erster Instanz bilden die sogenannten methodologischen Schriften unserer Ansicht nach ein Destillat vieler Weberscher Fragestellungen – hier ließe sich z.B. der Essay über Roscher und Knies anführen, in dem tatsächlich ein großer Teil der schließlich an anderer Stelle weiterentwickelten Probleme in nuce präsent ist; eine also mehr äußerlich motivierte Wahl. In zweiter Instanz dagegen wegen einer inneren Motivation, womit wir - wie bereits in den einleitenden Seiten dargestellt – behaupten, daß in Weber wie in Rickert die logisch-methodologischen, wie auch die gnoseologischen Probleme eine philosophische Prägnanz besitzen, die nicht zu vernachlässigen ist; vielmehr noch, es ist der Filter, den viele Fragestellungen beiden Autoren passieren, so daß hier Ähnlichkeiten und Unterschiede, Affinitäten und spezifische Eigenheiten ausgespielt werden. Man kann hier also in Bezug auf das von Rickert entlehnte logische Instrumentarium Webers nicht von bloßen logischen Bekleidungsstücken sprechen, wenn man damit so etwas wie Flitter oder jedenfalls ein bloßes (technisches) Instrument verstehen will, in Bezug auf einen philosophischen Kern, der anderweitig seine Garanten und seine inspiratorischen Gründe findet. Doch diesen Aspekt haben wir bereits in den einleitenden Seiten ausgebreitet. Im Hinblick auf das bisher gesagte erscheint es uns sinnvoll, über die Verwandtschaft hinaus die Distanzen zwischen Weber und Rickert zu untersuchen und damit das Spezifikum Webers – unser wahres Thema – gerade mittels jenes Teil seiner Theorie, die im allgemeinen und von einem gewissen Standpunkt aus betrachtet nicht zu unrecht – als orthodox neukantianisch, und im spezifischen noch ausgeprägter, als rickertianisch, angesehen wird. Sicher konstituiert die von Kant eingeführte Theorie der Erkenntnis die Vorbedingung der gnoseologischen und logischen Theorie Webers:. Erkenntnistheorie, gefiltert durch Rickerts Philosophie und angereichert durch neue Sensibilitäten und Erfordernisse der Zeit, in erster Linie: Beanspruchung der wissenschaftlichen Legitimität der Geschichts- und Sozialwissenschaften, die sich im breit ausgefochtenen Methodenstreit zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert entwickelt. Die Positionen Rickerts bezüglich der begrifflichen Erarbeitung der Geschichts- und Sozialwissenschaften sind zweifellos fundamental für die Weberschen Überlegungen. Vor allem die Forderung nach der Erkennbarkeit des Individuellen – wobei hier unter individuell die einmalige und unwiederholbare Singolarität verstanden wird, mit der sich ein historisches Interesse verbindet – also die Beanspruchung der wissenschaftlichen Legitimität der sogenannten Wirklichkeitswissenschaften, wie natürlich auch die Konstruktion des geschichtlichen Individuums. An dieser Stelle werden wir uns nicht weiter mit diesen Fragen beschäftigen. Wir möchten dagegen noch einmal mit einigen Beobachtungen das Thema der Wertbeziehung wiederaufnehmen, die für Weber wie für Rickert konstituierend ist für das historische Individuum – und verbunden ist mit der kausalen Erklärbarkeit des Individuellen. Im Verlauf unserer Darlegungen haben wir herausgestellt, daß für die Denkbarkeit selbst des Individuellen ein Verständnis der Kausalbeziehung unabdingbar ist, die nicht jene der Naturwissenschaften sein kann, weil sie Kausalität mit Gesetzmäßigkeit identifiziert. Denn ein derartiger Kausalbegriff verneint in der Tat die Autonomie des Individuellen und subsumiert es als Exemplar unter einen Gattungsbegriff. Wir haben auch unterstrichen, wie die gnoseologische Revolution Kants, die die Frage der Kausalität von der ontologischen auf die logische Ebene verlegt hat, den Weg geöffnet hat, die Beschaffenheit der Kausalbeziehung verschieden von der naturwissenschaftlichen Auffassung zu denken, auch wenn bei Kant die einzige mögliche Bedingung der Phänomenisierung der Wirklichkeit die naturwissenschaftliche bleibt, und damit die Kategorie der Kausalität ausschließlich als Gesetzmäßigkeit zu verstehen ist. An der Einführung der Werte-Standpunkte wird das theoretische Interesse des Forschers verankert, sie ermöglicht die Fragmentierung der Eindeutigkeit der kantschen Phänomenisierung, und dabei die Möglichkeit, das Wirkliche in seiner Individualität zu denken und die Kausalbeziehung nicht ausschließlich als Gesetzmäßigkeit zu verstehen, sondern auch als geschichtliche Verbindung zwischen zwei individuellen Phänomenen. Das Kausalprinzip oder die transzendentale Kategorie der Kausalität ist somit weniger dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit assimiliert. Es ist darin enthalten, aber erschöpft sich nicht darin. Der logische Prozeß der Wertbeziehung, dank dessen sich das geschichtliche Individuum ausgehend vom theoretischen Interesse des Forschers konstruiert, ermöglicht demnach die Beobachtung und Kenntnis der Wirklichkeit in seinen individuellen Aspekten und damit die Legitimation der sogenannten Wirklichkeitswissenschaften. Wir müssen uns hier nicht weiter aufhalten bei den allesamt logischen Gründen des Unterschieds zwischen Natur und Geschichte sowohl bei Rickert wie Weber. Diese für sich genonnem legitimieren schon die Wirklichkeitswissenschaften, da dank der logischen Operation der Konstruktion des geschichtlichen Individuums um den Wert, oder, um das theoretische Interesse des Forschers, die individuelle Wirklichkeit der Uniformität und Unterschiedslosigkeit entzogen wird, welche dagegen der Einzelheit zukommt insofern Exemplar einer Gattung; und allein dank einer solchen Operation wird sie zugleich auch einem Kausalitätsprinzip entzogen, das als Gesetzmäßigkeit dekliniert wird. Die Unterwerfung des Individuellen unter ein Kausalgesetz wäre schon in der Tat in sich selbst ein Widerspruch, da es das negiert, was aus einer Einzelheit ein geschichtliches Individuum macht – also eine unwiederholbare Einmaligkeit – und es von neuem auf ein Gattungsexemplar reduzierte, das unter ein allgemeines Gesetz subsumiert werden kann. Die Individualität ganz zu fassen bedeutet also notwendigerweise auch die Kausalbeziehung in Verbindung mit der geschichtlichen Welt zu überdenken, das heißt die Kausalbeziehungen als geschichtliche Verbindungen zu denken. Darüber entsteht die Möglichkeit der kausalen Untersuchung und also der Kenntnis der konkreten Wirklichkeit in ihrer Individualität. Sowohl Rickert wie auch Weber analysieren wie wir gesehen haben diesen Aspekt ausführlich, unterscheidend zwischen Kausalitätsprinzip, Gesetzmäßigkeit und geschichtlichem Zusammenhang. Insofern die Kulturwissenschaften als ihr Objekt im wesentlichen den Menschen und seine kulturelle Produktion definieren, wird das Thema der Kausalität des Individuellen, bezogen auf das menschliche Handeln, unvermeidlich zum Thema der Freiheit – verstanden als Möglichkeit der Selbstbestimmung – und der Art, in der diese dekliniert werden kann, und als solches in unauflöslicher Weise verknüpft mit dem Thema der kausalen Konditionierung. Deshalb kann eine zwar ganz logische Unterscheidung zwischen Natur und Geschichte, die also auf Interessen und Erkenntnisbedingungen basiert, schwerlich der Konfrontation mit dem Thema der Freiheit ausweichen, das eins ist mit jenem der Betrachtung der menschlichen Wirklichkeit in seiner Individualität. Denn wenn Natur und Geschichte keine zwei unterschiedlichen ontologischen Realitäten sind, sondern nur zwei logische Standpunkte, mit denen die Wirklichkeit verstanden wird, und wenn denn auch die Unterscheidung nicht an einem Unterschied der verhandelten Materie verankert werden kann – in einem Fall die von Ursachen bedingten Phänomene, im anderen die von freien Individuen produzierten Phänomene – so wird doch auch die Würde des Einzelindividuums und also der Sinn eines Erkenntnisinteresses ihm gegenüber, sogar – gemäß dieses Gedankens - die Denkbarkeit selbst des Individuellen, allein bewahrt durch die nicht-deterministische Lesart des Geschehens, im speziellen, des Handelns der Menschen. Geschichtliches Individuum, Kausalität des Geschehens, Freiheit, Kenntnis der individuellen Wirklichkeit sind eng untereinander verbundene Problemstellungen, mit denen sich die Kulturwissenschaften konfrontiert sehen, und in diesem Sinne kann das Thema der Freiheit nicht als einer empirischen Forschung fremd angesehen werden. Wir wollen hier nicht weiter eindringen in Fragen wie nach der Beziehung von Freiheit und Notwendigkeit, Freiheit und Kausalität, die das philosophische Denken seit seinen Ursprüngen beschäftigt haben und in verschiedener Form und gemäß unterschiedlichem Denkverständnis angelegt wurden. Wir möchten jedoch unterstreichen, daß ein System, das eine ganze Theorie der Denkbarkeit des Individuellen entwickelt, sich ernsthaft mit dem Problem der Autonomie des Individuellen auseinandersetzen muß, sei es bezüglich eines mechanistischen Determinismus, sei es bezüglich teleologischer Perspektiven, die außerhalb des Individuums selbst und über es hinaus seine Daseinsberechtigung setzen. Wir haben uns an diesem Punkt aufgehalten, da er wie wir glauben einen signifikativen Unterschied zwischen Rickert und Weber darstellt im Bezug auf das Thema der Freiheit und der kausalen Bedingtheit des Individuellen, der unserer Meinung nach nicht immer adäquat erfaßt wurde im Verhältnis zur berechtigterweise unterstrichenen Nähe der beiden Autoren. Die Wertbeziehung ist bei beiden Autoren mehr als ein einfaches Kriterium der Selektion, mit dem der Forscher seine Objekte konstruiert, konstituiert auch die teleologische Orientierung der Menschen in der Welt. Eine jedoch toto coelo ganz verschiedene Teleologie, da im Falle Rickerts der Begriff der teleologischen Verbindung ein transzendentaler Wert ist, bei Weber dagegen ein geschichtliches Produkt. Im ersten Fall ist der Wert deshalb in gewissem Sinn hegemonial zur Beziehung, im Sinne dessen, daß diese ihre Begründung in der Gültigkeit selbst des Wertes findet, der auch den Erkenntnisprozess garantiert; im zweiten Fall dagegen ist es die teleologische Struktur des Handelns, die predominant ist gegenüber dem Begriff dieses Handelns. Die unterschiedliche Natur des Wertes und der teleologischen Beziehung hat wichtige Auswirkungen auch auf die Auffassung des Kausalen bei beiden Autoren. Die Kausalanalyse eines Prozesses, der sich “auf“ transzendentale Werte hin orientiert – aber in diesem Fall auch „von“ diesen geregelt ist – wird unserer Meinung nach höchst problematisch. Und es ist sicher kein Zufall, daß Rickert, abgesehen von einer sicherlich wichtigen Theoretisierung der Unterschiede zwischen Kausalität des Geschehens und naturwissenschaftlicher Kausalität, sich nicht auf diese Analyse einläßt. Natürlich erfordert eine Analyse dieser Art, daß der Sinn eines teleologischen Prozesses nicht diesen Prozess selbst überschreitet. Dies ist unserer Ansicht nach der Fall bei Weber, wenn er bestätigt, daß das Objekt der Gesichts-und Sozialwissenschaften das individuelle sinnhafte Handeln ist. Schon der Sinn, im Verständnis Webers, ist nicht vergleichbar mit dem Wert bei Rickert. Er hat keine transzendentale Gültigkeit, ist etwas, das sich formt und interagiert mit der Dynamik des Geschehens und den sowohl inneren wie äußeren Bedingungen; darüberhinaus besitzt er, wie wir meinen, in sich eine Wertkomponente, aber auch eine rationale. Ein sinnhaftes Handeln ist in der Tat ein Handeln, das die Rechnung macht mit den Gründen, den Motivationen des Handelns selbst und praktisch immer auch mit der Realisierbarkeit der eigenen Ziele. Jedenfalls spricht dafür, daß sinnhaftes Handeln schlechthin ein rationales Handeln ist in Bezug auf den Zweck, der wahrhaft freies Handeln ist, also das Handeln, das sich selbst justiert, indem es die empirischen Bedingungen der eigenen Realisierbarkeit maximal berücksichtigt. Aufgrund seiner tendentiellen Rationalität wird das Handeln also einer kausalen Analyse zugänglich und damit verstehbar; so weit, daß für Weber die Schwelle der Innerlichkeit anderer überschreitbar wird – nicht in psychologistischem Sinn, wie bereits erläutert. Rickert verbleibt dagegen auf dieser Schwelle, da die Verankerung des menschlichen Werdens in einer Ebene transzendentaler Werte ihm nicht gestattet, das empirische Handeln einer Kausalanalyse zu unterziehen wie auch die Freiheit anders zu denken als ein transzendentes oder transzendentales Prinzip, das nichts zu tun hat mit der Empirie der Geschichte. Angesichts dieser Argumentation versteht man auch voll und ganz Funktion und Natur des Idealtypus. Wir möchten sogar sagen, die Notwendigkeit eines Begriffs, der bis ins Letzte das Individuelle denken kann. Nicht allein seine Konstruktion als Erkenntnisobjekt, was dank der Wertbeziehung mit dem geschichtlichen Individuum möglich ist, sondern auch die Untersuchung seiner Genese, seiner Existenzberechtigung, seines Werdens (i.e. des Individuellen). Rickert kann Weber dieses Konzept nicht liefern, da es ihm nicht notwendig ist. Durch den gemeinsamen Wertehorizont zwischen Forscher und geschichtlichen Subjekten, die Rickert als historische Centren definiert, gerät ihm die Beziehung zwischen dem Prozess, mit dem der Forscher sein Objekt konstruiert und der Art, in der die Menschen sich konkret an Werte binden, und damit also die Beziehung zwischen Erkenntnisprozess und Objekt desselben, weniger problematisch. Damit wird in gewissem Sinn auch ein weiteres begriffliches lnstrument überflüssig, das zwischen den fraglichen Prozessen vermittelt und sie in Verbindung setzt. Zugleich macht die Anziehungskraft des Wertes das Problem des Tat-Ursprungs überflüssig, oder besser, es stellt sich dieses Problem überhaupt nicht. Daher rührt vermutlich das Gefühl der Starrheit der Analysen Rickerts, so als ob man sich vor einem Gemälde ohne Prospektive und Bewegung befände. Der Begriff des Idealtypus ist dagegen genau das Instrument, das geschichtliche Individuum bis ins letzte zu denken, als einen genetischen Begriff, wie Weber sich ausdrückt . Wie bereits ausgeführt, bedingt für Weber das Denken eines Begriffs in genetischer Form eine Sinnverbindung. Die konkrete Wirklichkeit besteht aus Menschen, die sich sinnhaft orientieren, weshalb die Realität in ihrer Konkretheit zu verstehen bedeutet, sie als eine Verbindung von möglichem Sinn zu erfassen; bedeutet zu verstehen, wie die Menschen versuchen, der «sinnlosen Unendlichkeit des Weltgeschehens» Sinn und Bedeutung zu verleihen. Dies ist wie wir gesehen haben, die Aufgabe der verstehenden Deutung, des Erkenntnisprozesses dank dessen kulturelle Phänomen verstanden werden und der für Weber in jeglicher Hinsicht «eine Form kausalen Erkennens» ist. Die Gründe zu kennen bedeutet für die Kulturwissenschaften, in letzter Instanz die Motive zu ergründen, die die Menschen bewegen – in Interaktion mit «zahlreichen Umständen des »Milieus« und der konkreten Situation» ; die Motive dessen, was gewollt wurde und weshalb, denn jegliche Wahl, jegliche Entscheidung einer konkreten Person ist niemals, so Weber, ein erster Urheber, ein Urgrund, ein nicht verursachter Grund, sondern immer eine motivierte Wahl – zu unrecht oder zu Recht ist hierbei irrelevant – aber motiviert und daher verstehbar, oder mit anderen Worten, einer sinnhaften Deutung zugänglich. Allein im Fall des Verrückten ist dies nicht möglich, da man hier vollständig sinnlosen Handlungen gegenübersteht. Der idealtypische Begriff, der ein konzeptionelles Instrument der verstehenden Deutung ist, versucht gerade dies (i.e. verstehende Deutung), wenn er individuelle Realität als eine Sinnverbindung vorstellt. Mit ihm wird Wirklichkeit prozesshaft gedacht, im Licht der Dynamiken, die sie generiert hat. Dies ist gültig für jegliches Phänomen des kulturellen Lebens, ob konkretes Ereignis oder Idee, oder Ideal, das eine Epoche regiert, wie die Gattungsbegriffe selbst, den kontinuierlichen Elementen geschichtlicher Darlegungen, dort wo sie genetisch gedacht werden, oder mit anderen Worten, in Beziehung zu jenen Elementen, die die spezifische Bedeutung herausstellen. Der idealtypische Begriff ist ein Mittel, die kulturelle Realität zu denken, dessen Motor das individuelle sinnhafte Handeln ist. Ein Mittel sie zu denken, indem die möglichen Sinnverbindungen rekonstruiert werden, die die Protagonisten des geschichtlichen Lebens bewegt haben; mögliche deshalb, weil eine Realität, deren Wurzel das individuelle ist, konstitutiv Möglichkeit ist, hier verstanden als reale Möglichkeit – das heißt letzlich begrenzt von den Regeln des Geschehens - und nicht als ontologische Möglichkeit. Wie bereits mehrfach unterstrichen bedeutet die Tatsache, daß das sinnhafte Handeln die eigentümliche Möglichkeit des Menschen ist, nicht, daß die menschlichen Handlungen einem streng rationalen Schema gehorchen; in der Tat geschieht dies höchst selten und streng rationales Handeln ist geradezu ein Grenzfall, der sich de facto nicht realisiert oder in höchst seltenen Fällen in der Realität; zum zweiten bedeutet es nicht, daß solches Handeln in der Interaktion mit äußeren Faktoren – mit Bedingungen, die unabhängig sind vom bewußten Willen und den Absichten des Handelnden, jedoch in der konkreten Konfiguration der Phänomene bedeutend sind –seinen gemeinten Sinn bewahrt. Es ist die Abweichung von gemeintem und gehabtem Sinn, der Unterschied zwischen der Intention des Handelnden und der konkreten Gestalt der Phänomene, der die empirische Verwurzelung des Sinns des Werdens bezeugt und auch eine andere Art der Deutung der kausalen Zusammenhänge erfordert. Diese werden angesichts der Bedingungen und der allgemeinen Kenntnisse eines empirischen und nomologischen Wissens als mögliche, nicht als notwendige gedeutet. Denn die geschichtliche Welt ist das Reich des Möglichen, nicht der Notwendigkeiten. Der Forscher hat die Aufgabe sich in einem höchst verstrickten Netz von möglichen Sinnverbindungen, von möglichen Kausalzusammenhängen zu orientieren, und dabei zu versuchen, - oftmals außerhalb des vollen Bewußtseins der Protagonisten selbst des historischen Geschehens - die Motivationsketten zu rekonstruieren die in Interaktion mit den äußeren Faktoren die Erscheinungen erzeugt haben. Er tut dies mithilfe reiner Typen, die eine Idee der konkreten Phänomene konstruieren und ihm im Verlauf der Untersuchung dazu dienen, das Zuschreibungsurteil zu lenken und die Wirklichkeit in ihrer multiplen individuellen Beschaffenheit zu dekodieren. Das Instrument des idealtypischen Begriffs, wie auch die kausale Zuschreibung gemäß des Kriteriums der objektiven Möglichkeit und der adäquaten Verursachung bezeugen die Konzeption des Erklärens nicht mehr als klassisches Modell der Kausalerklärung mit seiner eindeutigen Ursache-Wirkung-Beziehung, sondern als konditionales Erklärungsmodell. Wer meint die Geschichtskonzeption Webers sei eine rationalistische hat nicht vollkommen die Bedeutung seiner methodologischen Instrumente verstanden, den heuristischen Wert des Idealtypus und die Beziehung, die zwischen der Erarbeitung dieses methodologischen Instrumentariums und der Auffassung Webers von Geschichte besteht, verstanden als Ort, in dem die Menschen den Sinn ihres Werdens konstruieren. Die gesamte methodologische Arbeit Webers – angefangen bei der Definition des Objekts der Kulturwissenschaften, dem sinnhaften Handeln, über die Definition der verstehenden Deutung als Erkenntnismodalität der Kulturwissenschaften, hin zum Modell der kausalen Bedingung , zur Rolle der Untersuchung der Motive in der Geschichte, zum Unterschied zwischen Absicht des Handelnden und geschichtlicher Realisation, zwischen gemeintem Sinn und gehabtem Sinn, bis hin zu seinen logischen Instrumenten wie dem Idealtypus - all das kreuzt substantiell das Thema der Selbstbestimmung des Menschen, der Freiheit, verbunden mit jenem der Möglichkeit eines kausalen Erklärens des menschlichen Handelns, oder besser, seiner möglichen Deutung angesichts der Motivationsketten, die es produziert haben wie der äußeren Umstände, die es zu seiner gegebenen Gestalt geführt haben. Seine Beschaffenheit als Kulturmensch, die der Forscher mit den Protagonisten des geschichtlichen Lebens teilt, gestattet ihm eine mögliche Deutung der kulturellen Phänomene. Die Fähigkeit, einer Unendlichkeit, die ansonsten sinnlos ist, Sinn zu verleihen, die Fähigkeit die eigenen Handlungen in sinnhafter Weise auszurichten, bilden die Gemeinsamkeit von Forscher und Subjekten des Kulturlebens. Die Sinngebung, nicht der Wert fungiert bei Weber als Brücke zwischen Erkenntnis und ihrem Objekt, sie macht die kulturellen Phänomene verständlich. Dies ist die transzendentale Voraussetzung der Kulturwissenschaften. Wir haben dies mehrfach wiederholt und unterstrichen, da hier unserer Ansicht nach der Schlüssel zum Verständnis des weberschen Forschungsapparates ist und der Ansatzpunkt, auf dem wir unsere gesamte Arbeit aufgebaut haben. Webers Aussagen, die wir mehrfach zitiert haben – nach denen die Bedingung jeder Kulturwissenschaft das Vermögen und die Bereitschaft ist, Position zu beziehen gegenüber der Welt und ihr einen Sinn zuzuschreiben – allein vom Standpunkt des Erkenntnisprozesses aus zu lesen, und damit des Ordnungs-Vermögens des erkennenden Subjekts in Bezug auf den chaotischen Fluss des Geschehens, - bedeutet die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt auf einen gnoseologischen Subjektivismus niederzudrücken und das empirisch Gegebene einer Unsinnigkeit auszusetzen, die sich allein auf Kenntnisebene wiederzusammensetzt, was besonders problematisch wird, wenn das Erkenntnisobjekt kulturelle Erscheinungen sind. Die Fähigkeit der Welt einen Sinn zu verleihen ist transzendentale Bedingung für den Forscher, der die empirischen Fakten in Erkenntnisse ordnet, wie für die Kulturmenschen, die die Wirklichkeit der Unsinnigkeit entziehen und ihrem Werden einen Sinn verleihen, indem sie ihr Handeln sinnhaft ausrichten. Eine solche Sinnzuweisung tritt also nicht nur auf Erkenntnisebene ein, sondern im konkreten historischen Werden und dies ist es, was die Kreisbewegung von Geschichte und geschichtlicher Erkenntnis aufrechterhält ohne die eine zugunsten der anderen zu annullieren. Am Ende dieser Arbeit, die sich als eine Überprüfung der interpretativen Hypothese anbot, daß sich gerade im logisch-methodologischen Apparat der Weberschen Forschung – der allgemein als ausgesprochen Rickertsche Erbschaft in Webers Werk angesehen wird – sich ein Wegdriften der Positionen Webers von jenen Rickerts manifestiert, erscheint uns die Distanz zwischen beiden Autoren noch ausgeprägter. Es ist richtiger von Distanz als Abwendung zu sprechen, denn die Webersche Ernüchterung in Bezug auf Rickerts metaphysischen Traum ist zu zwiespältig, und sie ist es von Anfang an, abgesehen von etwaigen Akzentuierungen und Verschärfungen im Werdegang beider Autoren. In unseren Augen öffnet die Ersetzung des Wertes mit der Sinngebung neue Szenarien und Kolloquien. Doch dies könnte das Thema einer anderen Arbeit sein. Am Ende bleibt – abgesehen von vielen Problemstellungen, die noch zu vertiefen wären an der Seite der Antworten, die wir versucht haben zu geben – die wesentliche Frage, warum Weber jene Distanz niemals wirklich bejaht. Ein Problem, das drohte unsere Arbeit grundsätzlich in Frage zu stellen bei einer eng am Text sich orientierenden Lektüre, und dem Verzicht auf interpretatorische verzerrte Auslegungen. An allen Stellen der methodologischen Schriften, an denen Weber Rickert zitiert, bekräftigt er eine Nähe, sogar Verwertung des begrifflichen Instrumentarium, das Rickert liefert. Aber dabei ist bekannt, zu welcher Heftigkeit Weber fähig war gegenüber wissenschaftlichen Positionen, die er nicht teilte. Oder besser gesagt, gegenüber Positionen, die er nicht als wissenschaftlich präzis erachtete Dies ist sicher nicht der Fall bei Rickert, dem gewiß logische Strenge und wissenschaftliche Klarheit nicht abzusprechen sind. Vermutlich war Weber gerade an diesen Eigenschaften interessiert, nicht so sehr an den philosophischen Implikationen. Das könnte ein Schlüssel zum Verständnis sein. Auch die Tatsache, daß Weber, - ohne große verzerrende Interpretationen zu bemühen - , sich in gewissem Sinne nicht einmal um die philosophischen Implikationen seiner eigenen Positionen sorgte; dieser Aspekt lag ihm nicht unbedingt am Herzen, noch betrachtete er ihn als Mittelrpunkt seiner Arbeit. Er fühlte sich und wollte es sein, als ein empirischer Wissenschaftler, der versuchte, in korrekter Form das logische Instrumentarium zu benutzen, das ihm notwendig war. Ein Wissenschaftler, fähig, die Welt in ihrer Komplexität zu lesen und sie zu interpretieren – im Lichte ihres gehabten und gemeinten Sinns. Dies war sein Dämon. Und von diesem Standpunkt aus war für ihn die logisch-methodologische Arbeit Rickerts wertvoll, genügte ihm also, jenseits der Distanzen, die bestehen mochten. Eine andere Sache ist die Bedeutung, den beide Autoren jenseits ihrer Intentionen und jenseits der Fragestellungen ihrer Zeit darstellen. Wahrscheinlich können nachfolgende Autoren und Wahrnehmungsvermögen im Denken Webers Elemente und Antworten finden, die über die Weberschen Intentionen selbst hinausgehen. Aber vielleicht, um es in Weberschen Begriffen auszudrücken, liegt der Beitrag der großen Autoren zur Geistesgeschichte gerade im gehabten Sinn, jenseits und über den gemeinten Sinn ihres Denkens hinaus. | |||||||
Lizenz: | Urheberrechtsschutz | |||||||
Fachbereich / Einrichtung: | Philosophische Fakultät » Philosophisches Institut | |||||||
Dokument erstellt am: | 19.04.2012 | |||||||
Dateien geändert am: | 19.04.2012 | |||||||
Promotionsantrag am: | 10.01.2010 | |||||||
Datum der Promotion: | 10.05.2010 |