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Die neunziger Jahre
Nachzeit
1990 erschien der bereits 1988 in der DDR fertiggestellte Roman Nachzeit von Olaf G. Klein, der aus der Sicht einer Studentin, die ihr Studium bis Sommer 1986 in Kiew absolviert hatte, ihre Erfahrung mit den Geheimhaltungsstrategien der Behörden bezüglich der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl sowie ihr Leiden an der Strahlenkrankheit schildert. Den Studenten der DDR wurde aus politischen Gründen die vorzeitige Heimreise untersagt, die Zusammenhänge wurden ihnen in einer offiziellen Unterrichtung über ihre Schweigepflicht erläutert:
Bei uns ist der wissenschaftlich technische Fortschritt kein Selbstzweck, sondern ordnet sich dem großen Ziel unter, dem Wohle des Volkes zu dienen. Natürlich werden unsere Feinde versuchen, aus diesem Unfall, von dem ihr ja wißt, Profit für ihre eigennützigen Interessen zu schlagen. Und so weiter und so weiter. Dann zählte er eine Reihe von Namen und Jahreszahlen auf. An diesen Orten hatten sich im Laufe der letzten Jahrzehnte Unfälle und Havarien in Kernkraftwerken ereignet. In diesen sicheren und ungefährlichen Kernkraftwerken. Und jahrzehntelang war es verschwiegen worden. Natürlich war das alles nur auf Profitsucht zurückzuführen. Auf keinen Fall war die Kernenergie an sich in Frage zu stellen. Nein.1
Belial
Gert Heidenreichs Belial oder Die Stille2 ist ein moderner Faust-Roman. Anders als bei Michael Ende besteht der Teufelspakt hier jedoch nicht in der vertraglichen Verpflichtung zur Naturzerstörung; stattdessen kann die Sehnsucht nach dem Bösen als Scheitern des Projekts der Vernunft gedeutet werden.
August September, Chronist und Ich-Erzähler, zeichnet das Leben seines Schulfreundes Sylvester März nach, der als Mathematiker und Philosoph versucht, den Ursachen der drohenden Selbstvernichtung des Menschen auf die Schliche zu kommen. Er versteht das Erinnern als Gegenpol in einer Welt, in der das Vergessen und Verdrängen dominiert, und wird so zu einer modernen Sheherazade: ... das Erzählen rettet das Leben, tausendundeine Nacht lang.3 Er versucht damit, diejenigen Verdrängungsmechanismen der Gegenwartskultur aufzubrechen und zu überwinden, die verhindern, daß die Einsicht in ökologische Gefährdungen in umweltverträglicheres Handeln umgesetzt wird.
Unvorstellbar viele Menschen mußten ebenso wie ich den Bruch im Horizont erkannt haben, Millionen wußten, daß nur ihr tätiges Erinnern noch eine Zukunft zulassen würde, in der es Menschen gäbe, die wiederum eine Chance hätten, sich zu erinnern, um die Zukunft der Nachfolgenden zu retten und zu verhindern, daß der Planet am Vergessen erstickt. 4
Der Text stellt ein dichtes Verweisungsgewebe auf Prometheus, Luzifer, Christus, Sheherazade, mythologische Mächte des Lebens und des Todes, grüne Aktivisten, die Berliner Hausbesetzerszene, Caprichos von Goya, Anspielungen auf Baudelaire, Huysmanns, u.a. dar.
Bodenloser Satz
Einen bemerkenswertes Text aus der Endzeit der DDR stellt Volker Brauns 1988 entstandener Bodenloser Satz5 dar. Tatsächlich nur aus einem einzigen Satz bestehend, schildert der Text die Bodenlosigkeit sowohl im Sinne der Unermeßlichkeit der Folgen als auch des Mangels an Boden und Halt, die durch den Braunkohletagebau verursacht wurden. Die Kernhandlung um Klara und Karl setzt wieder einmal die Frau mit der Natur und der Erde / dem Boden und den Mann mit dem erobernden Prinzip der Technik gleich. Gebrochen wird dieses Muster jedoch durch den Ich-Erzähler, der, früher selbst zu den Arbeitern im Tagebau gehörend, nun seine frühere Heimat mit anderem Blick betrachtet.
Hinter dem Regenbogen und Tatort Umwelt
Barbara Veit hat 1990 eine Jugendgeschichte über Greenpeace6 vorgelegt, die sowohl spannend ist, als auch den emotionalen Themen der Pubertät gerecht wird: Scheidung der Eltern, Ortswechsel, erste Liebe. Auch hier wird noch einmal Bezug auf Barbara Fruth, die bayrische Schornsteinkletterin, genommen.
Zwischen 1990 und 1995 veröffentlichte dieselbe Autorin in der Reihe Tatort Umwelt7 Jugendkrimis zu Umweltverbrechen, die auf realen Ereignissen basieren. Die Mitarbeiter der (leider fiktiven) Umweltzentrale der Polizei, Carla Baran und Philip Sternberg, letzterer ein ehemaliger Greenpeace-Aktivist, sind in fünf spannenden Folgen illegalen Sondermülltransporten, Pestizidmißbrauch, Flußverschmutzung, Schlamperei in Kernkraftwerken und kriminellen Praktiken in den Auseinandersetzung um die Landrechte der Aborigines in Australien auf der Spur.
Wenzels Pilz
Bernhard Kegels wohltuend satirischer Roman um die Probleme der Gentechnologie schildert die aus der Flickschusterei der Geningenieure erwachsenen Probleme in einer nahen Zukunft. Kegel verwendet hierbei das Klischee vom toten Wald, um das Fehlschlagen des Experiments zu veranschaulichen.
Unter einem wolkenlosen Himmel sah man einen sterbenden Wald mit zahllosen großen und kleinen Fliegenpilzen. Viele der Bäume hatten einen großen Teil ihrer Nadeln verloren. Der Rest war bräunlich verfärbt, sah aus wie vertrocknet. Von manchen standen nur noch die kahlen Stammgerippe. Unter den absterbenden Bäumen sprossen überall tiefrote, weißgesprenkelte Pilzkörper, Hunderte von Winzlingen, einige Riesen, ein Baumfriedhof von merkwürdig fröhlichem Aussehen. (...) Das intensive Rot der zahllosen Fliegenpilzhüte vermittelte eine Art gespenstischer Heiterkeit. Es wäre wahrscheinlich niemandem aufgefallen, wenn unter den Hüten der zum Teil riesigen Fliegenpilze kleine Trolle herumspaziert oder zwischen den Pilzen und bizarren Baumgerippen weiße Einhörner aufgetaucht wären.8
Palmers Krieg
Der Thriller Palmers Krieg9 von Dirk C. Fleck erzählt von der Entführung eines Supertankers, der nach New York gesteuert wird und dort sein Öl abzulassen droht, wenn dem Entführer nicht vier Tage Sendezeit zur Verfügung gestellt werden, die der Club of Rome und andere Umweltorganisationen gestalten sollen. An diesen Abenden soll, so die Forderung des Entführers, kein anderes Fernsehprogramm ausgestrahlt werden. Dieser Roman über engagierten Öko-Terrorismus greift thematisch in die frühen achtziger Jahre, indem Fleck offensichtlich das Informationsdefizit in puncto Umwelt als Ursache für das geringe Umdenken diagnostiziert.
Der Planet schlägt zurück
Eine Serie aneinandergereihter Katastrophenmeldungen bildet den Text Der Planet schlägt zurück von Anton-Andreas Guha, der offensichtlich gleichfalls noch ein Informationsdefizit diagnostizierte.
GO! Die Ökodiktatur
Flecks nächster Roman GO! Die Ökodiktatur10 erzählt von einer Bundesrepublik nach der ökologischen Revolution. Geld und Presse sind abgeschafft, der Ökologische Rat setzt die ökologischen Bestimmungen radikal durch. Die Grundgesetze beinhalten Reiseverbot, Bauverbot, Geburtenkontrolle (nur eine Entbindung für Frauen zwischen 18 und 35), vegetarische Ernährung, Verwendung alternativer Energien und den Schutz von Pflanzen und Tieren. Die Bevölkerung soll zum ökologischen Denken umerzogen werden. Die Regierungsangehörigen haben mit ihrer Goldcard natürlich Reisefreiheit. Autofahren kommt einem Schwerstverbrechen gleich.
Überall in Deutschland sind Meditationskommunen eingerichtet, in denen die Grundgesetze nicht gelten, damit die Angehörigen der Gemeinschaften frei von äußerem Druck nach neuen Formen des Zusammenlebens von Mensch und Tier suchen können. Von diesen ökotopischen grünen Inseln soll dann die spirituelle Erneuerung ausgehen, der neue Naturumgang für die kommenden Generationen vorbereitet werden. Gerne orientieren sich die Mitglieder der Meditationskommunen bei dieser Suche nach einem naturnahen Leben an den Überlieferungen und Lebensformen indigener Völker (der ersten Welt!), wie zum Beispiel der Indianer Nordamerikas, die zu Entwicklungshelfern für den geistigen Neuaufbau stilisiert werden.
Auch in den Stadtlagern gelten die Grundgesetze nicht. Die großen Städte wurden nach der ökologischen Revolution evakuiert und abgeriegelt, da in ihnen die Lebensbedingungen zu schlecht geworden waren. Nun dienen sie als anarchistische Quasi-KZs für Schwerstverbrecher (= Umweltsünder) und AIDS-Kranke. Die Schilderungen der Lebensbedingungen in den Stadtlagern bilden eine Karrikatur heutigen Alltagslebens: im Fernsehen läuft eine 24-Stunden-Schleife aus Talkshow und Werbung, auf den Straßen stehen Autos im Stau, samstags abends sogar mit Beleuchtung.11
Der Zustand der Umwelt ist mehr als bedenklich, zu gravierend waren die im 20. Jahrhundert verursachten Schäden: Renaturierungsingenieure sind sisyphosgleich damit beschäftigt, Landschaften zu begrünen und verseuchte Böden auszutauschen. Die Ostsee und der Wald sind tot, der Anstieg des Meeresspiegels aufgrund des Treibhauseffektes bedroht Hamburg, Europa wird regelmäßig durch Orkane verwüstet. Die erste Welt, die sich zu den GO-Staaten zusammengeschlossen hat, schottet sich gegen die Flüchtlingsströme aus der ehemaligen Dritten Welt ab. Die Armee stattet ihre Soldaten mit Mikrochips aus, die diese auf Signal zu völlig entmenschten Befehlsempfängern machen, die gegen kleinste Vergehen mit derselben Brutalität vorgehen wie gegen Schwerstverbrechen.
Beachtenswert scheint mir, daß - abgesehen von den Journalisten Lieckfeld, Wittchow und Fleck - kein Autor die umweltzerstörenden Folgen des privaten motorisierten Individualverkehrs thematisiert, was jedoch parallel zur öffentlichen Umweltdebatte geschieht: der Deutschen heilige Kuh, das Blechschwein (Lieckfeld / Wittchow) bleibt größtenteils unhinterfragt.
Klint
Der Journalist Horst Stern hat 1993 einen Roman über die seelischen Folgen der Naturzerstörung vorgelegt12. Sein Protagonist Klint, ein deutscher Journalist, wurde 1986 tot in einer Karsthöhle bei Triest gefunden. Der Erzähler zeichnet nun anhand einiger aufgefundener Tagebucheinträge Klints Weg in den selbstgewählten Tod nach. Klint fungiert als Seismograph für die Zerstörung der Natur, er empfindet den Menschen als symbiotische(n) Teil der Natur, als Geist ihrer Materie, der unausweichlich krank werden muß, wenn sie krank wird.13 Der Zustand der Welt findet seine Entsprechung in Klints fortschreitender Schizophrenie. Er nimmt die Atomisierung der Welt optisch wahr, vor seinem Blick zerfällt die Landschaft in disparate Elemente, Details, die sich nicht mehr zu einem Ganzen zusammenfügen lassen. Er erkennt in der Punktförmigkeit seines
Sehens eine Grundbefindlichkeit des westlichen Menschen (...): nicht nur im Sehen zerlegt er sich die Welt, er zerdachte sie auch, indem sein Denken, genau wie sein Sehen, vom Gehirn her unter Verlust des Ganzen in einem immer schmaler, spitzer werdenden Sektor stets auf den Punkt kam, während sich die Welt zu beiden Seiten dieses Denkkeils bis hin zu ihrer Auflösung in Unschärfe verlor. 14
Die Wechselwirkung zwischen Mensch und Natur - wie das Denken als spezifische Form der Rationalität und Weltwahrnehmung den Naturumgang bestimmt, was wiederum Auswirkungen auf die seelische Befindlichkeit des Menschen in der Welt hat, - kommt in Sterns Roman deutlich zum Ausdruck. Klint reist nach Arkadien, welches seit der Antike den paradiesische Ort auf Erden par excellence symbolisiert. Doch auch Arkadien ist zerstört: Die Zentauren entpuppen sich als genmanipulierte Chimären, die Landschaft wird mit EG-Mitteln in einen großen Freizeitpark umgebaut und künstlich verschönert. Nach weiterem Fortschreiten von Klints Schizophrenie entschließt dieser sich am Ende des Tschernobyljahres 1986, japanischen Zen-Mönchen gleich den Strahlentod im Lotussitz im Innern der Erde, unweit einer seismographischen Apparatur, zu erwarten.
Klaus Modick, der Autor von Moos, stellt in einer Rezension über Klint heraus, daß Horst Stern im Gegensatz zu den stilsicheren Autoren der deutschen Gegenwartsliteratur, die nichts als leere Ästhetizismen aus Ratlosigkeit und Langeweile produzierten, durchaus etwas zu sagen habe. Und dies sei
vielleicht das Wichtigste, was in der gegenwärtigen Situation einer globalen, ökologischen Apokalypse von der Literatur noch zu sagen oder zumindest noch zu fragen ist. Wie ist das Verhältnis von kranker Natur zur kranken Gesellschaft? Wie hat sich Sprache und Literatur innerhalb dieses Verhältnisses zu organisieren, um nicht infiziert zu werden, sondern poetisch widerstandsfähig zu bleiben?15
Klint wird im Kapitel Das zerstörte Arkadien und die Zerstörung der Seele ausführlich besprochen.
Der Mann von IDEA
In Der Mann von IDEA16 schildert Karl-Heinz Tuschel die Gegend um Berlin nach der Klimakatastrophe, dem overturn, nach welchem sich die Weltbevölkerung auf ein Fünftel reduziert hat. Seit dem overturn gibt es drei Tabus: Kohlenstoffverbrennung, Funk und unzyklische Technologie. Die Verkehrswege zwischen den Städten sind unterbrochen, die Bauern im Umland versuchen, UV-resistente Pflanzen zu kultivieren, um die Stadtbewohner mit Lebensmitteln versorgen zu können, und haben sich mittelalterlich organisiert. Ross Bernard, der Mann von IDEA, versucht nun, die einzelnen Regionen wieder miteinander zu vernetzen. Bei seinen Abenteuern helfen ihm seine telepathischen Fähigkeiten und seine phänomenale Naturkenntnis.
Krabat II
Bereits 1976 hatte der sorbische Autor Jurij Brzan in einem Roman über die Gefahren der Gentechnologie auf den Stoff der alten Krabat-Sage zurückgegriffen. In Krabat oder die Bewahrung der Welt 17 knüpft er an den ersten Teil an und stellt das Bemühen um eine umweltverträgliche Zukunft noch deutlicher in den Mittelpunkt. In vielfach verschlungenen Erzählsträngen berichtet er von dem Versuch der Protagonistin, auf dem geerbten Stück Land wieder zur vorindustriellen Produktionsweise zurückzukehren, um dadurch dem Wahnsinn der Welt ein wenig praktisch gelebte Vernunft und Hoffnung entgegenzusetzen. Eine konkrete Utopie als trotziges trotzdem in einer Welt, in der es eigentlich schon 5 nach 12 ist. Wenn keiner mehr da ist, der sagt, es ist noch nicht zu spät, dann ist es wirklich zu spät.18 Die alten Klassenfeinde, Wolf Reissenberg und Krabat, knüpfen widerwillig ein Bündnis, da eine Rettung nur mit vereinten Kräften möglich scheint.
Brent Spar, Mururoa und Ken Saro-Wiwa
Der Sommer 1995 war neben den weltweiten Protesten gegen die französischen Atomtests auf Mururoa von der Auseinandersetzung um die Versenkung der Ölplattform Brent Spar in der Nordsee durch die britische Shell geprägt, in deren Verlauf Shell durch Verbraucherproteste und Boykott gezwungen war, nach Alternativlösungen der Entsorgung der Ölplattform zu suchen. Im November wurde der nigerianische Schriftsteller Ken Saro-Wiwa trotz internationaler Proteste hingerichtet. Sein Engagement für das Volk der Ogoni hing mit den durch die Shell verursachten Umweltsünden zusammen:
Der Vorwurf: Shell sei in Nigerias Erdölregion für eine Umweltkatastrophe riesigen Ausmaßes verantwortlich, für die rücksichtslose Ausbeutung der Lagerstätten im nigerianischen Ogoni-Gebiet bei gleichzeitiger Verelendung der Bevölkerung, für die Kumpanei mit den dortigen Militärmachthabern und dadurch indirekt zumindest moralisch mitschuldig an der trotz weltweiter Proteste erfolgten Hinrichtung des nigerianischen Menschenrechtlers und Schriftstellers Ken Saro-Wiwa. Besonders peinlich wurde der Fall, als die Londoner Shell-Zentrale des Konzerns versuchte, gegen das letzte Buch des Menschenrechtlers vorzugehen. Titel: Flammen der Hölle. Untertitel: Nigeria und Shell. Der schmutzige Krieg gegen die Ogoni.19
Phantastik in Jugendbüchern zur Umwelt
Nach den (von Michael Endes Wunschpunsch abgesehen) größtenteils einer realistischen Darstellungsweise verpflichteten Kinder- und Jugendbüchern zu Umweltthemen erschienen 1995, nachdem der Durchbruch der Phantastik im Zusammenhang mit der allgemeinen Mythenrenaissance (Sabine Wilke) in der erwachsenen Umweltliteratur bereits in den Achtzigern erfolgt war, gleich zwei Erzählungen, in denen spielerisch mit Elementen der Phantastik gearbeitet wird. In Die Rache der Raben von Frederik Hetmann und Harald Tondern geht es um ein Bauprojekt im Naherholungsgebiet, das verhindert werden kann, weil ein Junge plötzlich die Sprache der Raben versteht. In Die grüne Hexe ist wieder einmal von einem Höllenkontrakt, der alle Vertragspartner zu einem größtmöglichen Einsatz von Pestiziden und Chemikalien verpflichten soll, die Rede, gegen den sich die grüne Hexe, Flora Aurora Rosenbloom, aufzulehnen versucht. Doch die Hölle hat ihre Probleme mit dem irdischen Widerstand gegen ihre Pläne:
Die Entwicklung in Europa ist alarmierend. (...) Die Absatzprognosen bis zum Jahresende sind katastrophal. Vor allem auf dem Gebiet der Kunstdünger und Pestizide. Der Verkauf von giftigen Farbstoffen, Sprays und Duftstoffen läßt ebenfalls zu wünschen übrig. Die Zahl der Umweltsünder nimmt ab. Die Einleitung von Schadstoffen in Flüsse stagniert. Müllentsorgungen werden immer besser organisiert. Es gibt Fälle von schwerer Sabotage an unserem Umweltzerstörungsprogramm: Die Wetterhexe Azora zum Beispiel hat heimlich am Ozonloch über Neuseeland geflickt, und der Zauberer Katalexis arbeitet aktiv bei Greenpeace mit. Er hat einem Schiff, das Dünnsäure verklappen wollte, Killeralgen um die Schiffsschraube gehext.20
Schmunzelnd ins nächste Jahrtausend
In der Satire Arche Nova. Kleine Chronik des dritten Jahrtausends stellt Wolfgang Zöllner im fiktiven Rückblick das kommende Jahrtausend als konsequente Fortschreibung gegenwärtiger Tendenzen dar und beschreibt eine Welt, in der Medienerfolg zu den wichtigsten Parametern gehört, dessen Priorität sich reziprok proportional zur Intelligenz der Bevölkerung verhält. Desweiteren ist die globale Erwärmung eingetreten, vor der der moderne Mensch aus unerfindlichen Gründen Angst gehabt zu haben schien, und Autos sind durch fliegende Teppiche ersetzt worden.
2. Januar 2357: Laut jüngsten Berechnungen kreuzt im Februar 2357 ein Meteorit die Bahn der Erde. Der Reichskanzler versichert, er habe alles im Griff. Untersuchungsergebnissen verschiedener Umweltschutzorganisationen zufolge ist der massenhafte Einsatz fliegender Teppiche ein Auslöser der drohenden Meteorkollision. 12. Februar 2357: Spitzensportler aus aller Welt bekennen in einer Gala, übertragen aus der Frankfurter Festhalle: Wir sind gegen den Meteor! 17. Februar: Der Meteor landet, kaum begrenzt, im Pazifik. Die Anzahl der Toten liegt um etwa 300 Millionen unter den amtlichen Vorausschätzungen. Satellitenaufnahmen begeistern die Techniker. (...) 2. März 2360: Nach Prof. Dr. Müller-Thorwaldson ist die sogenannte Meteoritenkatastrophe in Wahrheit ein Glück für die gesamte Erde. Die Umlaufbahn um die Sonne ist etwas vergrößert, dadurch die Intensität der Sonneneinstrahlung geringer. Hätten die Menschen nicht zuvor durch die sogenannte Umweltverschmutzung ihren Globus aufgeheizt, wäre alles Leben auf der Erde bedroht. So aber wird sich wieder das natürliche Gleichgewicht einstellen, das es - mit Ausnahme der letzten zwei oder drei Jahrhunderte - schon immer auf der Erde gegeben hat.21
Auch an das Bild des Waldsterbens wird ironisch - analog zum Automarkensterben bei Lieckfeld und Wittchow - in den Bildern des Brücken- und Fernsehturmsterbens angeknüpft:
17. August 2344: Beim Versuch, den Himbeerstrauch gentechnisch so zu verändern, daß seine Beeren von Würmern aller Art gemieden werden, konstruiert Bernhard Vogel die B-Ton(r)-Beerenpflanze. Sie ist in der Lage, Kalkstein zu zerlegen und dabei anfallenden Kohlenstoff ebenso wie Sauerstoff für das eigene Wachstum umzusetzen. Beste Wachstumsbedingungen bietet unter anderem Beton in jeder Form, worauf wohl auch der eigentümliche Name der Pflanze basiert. 17. Februar 2345: Die Stadt Köln sperrt zwei Brücken über den Rhein. Arbeiter hatten zufällig festgestellt, daß in den Hohlräumen des Bauwerks der B-Ton(r)-Beerenstrauch schon erhebliche Schäden angerichtet hatte. 25. August 2345: Mit dem Einsturz der Rheinbrücke bei Remagen wird ein weltweites Brückensterben eingeleitet, das von Naturfreunden in der ganzen Welt allgemein begrüßt wird. Renaissance des Fährverkehrs. 25. September 2345: Mit dem Einsturz des Fernsehturms von Toronto beginnt ein weltweites Fernsehturmsterben. Die damit verbundenen Störungen im terrestrischen Fernseh- und Telefonverkehr führen zu Protesten und Aufruhr, die mit der öffentlichen Verbrennung der Regierung von Brandenburg ihren vorläufigen Höhepunkt erreichten.22
Somit markiert dieser Text in doppelter Hinsicht das Ende der Umweltliteratur in diesem Jahrtausend.
1 Klein, Olaf G.: Nachzeit, Berlin 1990, S. 77
2 Heidenreich, Gert: Belial oder Die Stille, München 1990
3 Heidenreich, Belial, a.a.O., S. 216
4 Heidenreich, Belial, a.a.O., S. 173
5 Braun, Volker: Bodenloser Satz, Frankfurt 1990. Vgl. auch: Elsner Hunt, Irmgard: Chaos in der Endphase. Ökoliteratur von Volker Braun und Günter Grass, in: Literatur und Ökologie, a.a.O., S. 243-255
6 Veit, Barbara: Hinter dem Regenbogen, Wien 1990
7 Veit, Barbara: Tatort Umwelt: Der Giftmafia auf der Spur (Originaltitel: Die italienische Krankheit), Ravensburg 1990; dies.: Tatort Umwelt: Gefährliches Strandgut, Ravensburg 1990; dies.: Tatort Umwelt: Fluß in Gefahr, Ravensburg 1991; dies.: Tatort Umwelt: Tödliche Ladung, Ravensburg 1994; dies.: Tatort Umwelt: Gift im Busch, Ravensburg 1995
8 Kegel, Bernhard: Wenzels Pilz, Zürich 1997, S. 71f. (Erstveröffentlichung 1992)
9 Fleck, Dirk C.: Palmers Krieg, Hamburg 1992
10 Fleck, Dirk C.: GO! Die Ökodiktatur, Hamburg 1993
11 In der Turmstraße entdeckte er einen dieser Staus, wie sie an mehreren Stellen der Stadt aufgebaut waren. Um die noch relativ intakten Autos vor Vandalismus zu schützen, hatte man sie an markanten Kreuzungen einfach zusammengeschoben. Dieser hier war hundert Meter lang. Staus wurden rund um die Uhr bewacht, die Batterien der Fahrzeuge regelmäßig aufgeladen. Die Menschen benutzten sie als Abenteuerspielplatz. Wer Lust hatte, setzte sich in einen Wagen seiner Wahl, hörte Musikkassetten, die in den Handschuhfächern lagen, oder hupte einfach fröhlich drauflos. (...) Am Wochenende, so hatte er sich sagen lassen, war im Stau kein Platz mehr zu / kriegen. Völlig aussichtslos sollte es am Samstag sein, wenn die Scheinwerfer eingeschaltet werden durften. Bis in den frühen Morgen badeten dann die düsteren Straßen im Licht, erzitterten die bröckelnden Fassaden unter dem Rhythmus der Musik, die sich aus den Blechkisten ins Freie ergossen. (Fleck, GO, a.a.O., S. 258f.)
12 Stern, Horst: Klint. Stationen einer Verwirrung, München 1993. Vgl. auch: Fritsch, Andreas: Vergils Arkadien-Motiv in Horst Sterns Klint, in: Unerledigte Einsichten. Der Journalist und Schriftsteller Horst Stern, hrsg. v. Ludwig Fischer, Hamburg 1997, S. 257-266; Modick, Klaus: Zustand des Grimms und der Rache. Horst Stern schildert die Krise des fiktiven Journalisten Klint als Ausdruck globaler Agonie, in: Süddeutsche Zeitung, 26.5.1993, S. 15; Mohr, Peter: Wenn es im Kopf spukt. Horst Sterns Roman über einen Sonderling: Klint, in: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 30.4.1993
13 ebda., S. 18
14 ebda., S. 24
15 Modick, Zustand des Grimms, a.a.O., S. 15
16 Tuschel, Karl-Heinz: Der Mann von IDEA. Berlin: 33 Jahre nach der Klimakatastrophe, Schkeuditz 1995
17 Brzan, Jurij: Krabat oder die Bewahrung der Welt, Berlin 1995, (im folgenden zitiert als Krabat II.)
18 Brzan, Krabat II, S. 66
19 Liedtke, Rüdiger: Wem gehört die Republik? Die Konzerne und ihre Verflechtungen. Namen, Zahlen, Fakten 99, Frankfurt/M. 1998, S. 174f.
20 Hetmann, Frederik; Tondern, Harald: Die Rache der Raben. Eine phantastische Geschichte, Reinbek 1995
Scheffler, Ursel: Die grüne Hexe, Reinbek 1995, S. 43
21 Zöller, Wolfgang: Arche Nova. Kleine Chronik des dritten Jahrtausends, Düsseldorf 1999, S. 63f.
22 Zöller, Arche Nova, a.a.O., S. 60
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